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 Grusical
Jekyll & Hyde Zwei Seelen in einer Brust In die Moderne transferierte Version des Wildhorn-Musicals mit wenig inspirierter Regie. Auch die Hauptdarsteller können nicht überzeugen.
(Text: Björn Herrmann) Premiere: | | 19.09.2009 | Rezensierte Vorstellung: | | 19.09.2009 | Letzte bekannte Aufführung: | | 03.04.2010 |
"Jekyll & Hyde" lässt sich in vielen Facetten erzählen. Da gibt es es den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, da lässt sich die Geschichte eines Mannes zwischen zwei Frauen erzählen, da lässt sich auch die aktuelle Frage wissenschaftlicher Ethik thematisieren. Regisseurin Pascale-Sabine Chevroton entscheidet sich in Lübeck leider für keine dieser Geschichten und liefert eine Version des Wildhorn-Musicals, die szenisch und musikalisch nicht überzeugen kann.
In Chevrotons Version spielt die Geschichte in der Moderne, lässt sich jedoch zeitlich nicht einordnen. Jekyll dokumentiert seine Versuche in einem Videotagebuch (eine der wenigen Ideen, die wirklich gut funktionieren), das Kostümbild dagegen pendelt irgendwo zwischen den 1920er und 1980er Jahren. Welchen Zweck diese Modernisierung hat, bleibt unklar, denn es wird nah an der textlichen Urfassung gespielt und es gibt keinerlei aktuelle Bezüge. Leider verliert das Stück durch die optische Abstraktion (im Wesentlichen stehen zwei große verkleide Gerüste auf der Bühne, die als Projektionsfläche dienen und auf ihrer Rückseite verspiegelt sind) viel an optischer Wirkung.
Viel ärgerlicher aber ist, dass eigentlich keine der Figuren auserzählt wird. Thomas Christ kann als Jekyll/Hyde nur durch Auf- und Absetzen seiner Hornbrille seinen Rollenwechsel dokumentieren, ist aber in den entscheidenden Szenen durch die Regie eingeschränkt. So wird die Vorgeschichte um Jekylls erkrankten Vater so verkürzt, dass seine Motivation kaum noch erkennbar ist. "Er muss erfahrn" ist in Lübeck ein Duett mit Utterson, der in der Erzählerfunktion die Refrains übernimmt und dem vom Licht buchstäblich im Dunkeln gelassenen Jekyll keinerlei Entfaltungsmöglichkeit lässt. "Dies ist die Stunde" muss Jekyll in einem Lehnstuhl auf der ansonsten leeren Bühne sitzend singen und auch „Das Gefühl so lebendig zu sein“ spielt auf quasi leerer Bühne. Nur in der vorgezogenen "Gefährliches Spiel"-Reprise und im Song selbst (recht effektvoll mit Nebel und Spiegeln inszeniert) kommt kurz Spannung auf. Auch für das Rollenverständnis der Lucy sind einige Striche im Szenenablauf unglücklich. So ist die Rolle des Zuhälters Spider weggefallen, dadurch aber leider auch das gesamte Drohszenario innerhalb des Bordells.
Dass die Inszenierung auch musikalisch nicht überzeugen kann, ist am wenigsten der musikalischen Leitung von Ludwig Pflanz anzulasten. Sein Orchester musiziert recht flott und werkentsprechend und auch die klassischer angelegten Chorpassagen kommen sauber daher. Doch der Fluch, Musical mit Opernensembles machen zu müssen, schlägt auch in Lübeck voll zu. Die größeren Nebenrollen sind fast komplett mit Opernsängern besetzt, deren Muttersprache nicht deutsch ist. So ist die Krankenhausszene leider ebenso unverständlich wie ein großer Prozentsatz der "Mörder"-Texte und die Choristen wirken nicht eben schrittsicher.
Auch die Hauptdarsteller können nicht richtig punkten: Thomas Christ als Jekyll/Hyde bekommt mit viel Hall zwar hörbar tontechnische Unterstützung für seine Doppelrolle, ist aber leider gerade bei den für die Partie entscheidenden Spitzentönen nicht strahlend und brillant. Vasiliki Roussi hat als Lucy ein entscheidendes Problem: Sie kann in der Höhe nicht belten. Und das ist bei Songs wie "Jemand wie Du" oder "Ein neues Leben" fast ein musikalisches K.O.-Kriterium, selbst wenn die tiefen Passagen bei ihr zwar ungewöhnlich rauh-zerbrechlich, aber schön klingen. Sonja Freitag als Jekylls Verlobte Emma gehört zum hauseigenen Opern-Ensemble, bleibt aber stimmlich und darstellerisch blass. Masha Karell als Nellie singt ihren Part in "Mädchen der Nacht" sauber und zeigt ansonsten eine eher ungewöhnliche, hyperaktiv-exaltierte Rolleninterpretation, Steffen Kubach singt die Rolle des Utterson mit einer sauber geführten, klassisch geschulten Stimme. Einige Ungereimtheiten der Inszenierung irritieren: So liest Jekyll Verlobte nicht in seinem Tagebuch, sondern schaut in die Videos, wird dann aber trotzdem von ihm mit den Worten "Was hast Du gelesen?" angegriffen. Ob schließlich das Frauen-Duett "Nur sein Blick" unbedingt einen goldenen Flitterregen aus dem Bühnenhimmel braucht, sei zumindest hinterfragt. Doch auch einige gute Ideen fallen leider der Ausführung zum Opfer: So erhängt Hyde seine Opfer an weißen Tüchern, die aus dem Bühnenhimmel herabgefahren werden. Unglücklicherweise aber hört man über die Microports deutlich das Einrasten der Aufhängungen für die Fluggeschirre, die zudem viel zu weit unten am Rücken sitzen und so eher an Fleischerhaken erinnern. Dass schließlich Lucys Leiche inmitten der Hochzeitsgäste auf der Bühne liegen bleibt, mag dem gemeinsamen Schlussbild mit der von Hyde erwürgten Emma dienen. Wenn Utterson Jekyll dann aber mit mehreren Schüssen niederstreckt, ohne dass sich auf dessen blütenweißem Hemd ein einziger Blutfleck zeigt, ist dies doch ein ärgerlicher Schlußpunkt einer nicht überzeugenden Inszenierung.
(Text: Björn Herrmann)

Kreativteam
Besetzung
Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 1 Zuschauer hat eine Wertung abgegeben:

    28101 Öde
28.11.2009 - Fand es auch nicht gut. Die obige Kritik beschreibt es genau. Irgendwie laienhaft und auch völlig sparsam. So sollte man eher kein Musical machen.

Slughorn (erste Bewertung) 
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| Handlung | Der junge Arzt Henry Jekyll will das Gute vom Bösen im Menschen trennen - um das Böse zu eleminieren und die Menschheit vom Wahnsinn zu befreien. mehr Der Vorstand des St.-Judes-Krankenhauses lehnt seinen Antrag auf ein menschliches Versuchskaninchen entschieden ab. Jekyll experimentiert an sich selbst, und bekommt das Böse in sich bald nicht mehr unter Kontrolle. Als Edward Hyde tötet er die Mitglieder des Krankenhausvorstandes und bedroht die Hure Lucy, mit der Jekyll zuvor Mitleid gehabt hatte. Am Tag von Jekylls Hochzeit mit Lisa kommt es zum finalen Showdown zwischen Jekyll und Hyde.
| Weitere Infos | Das Musical von Frank Wildhorn (Musik) und Leslie Bricusse (Texte) basiert auf dem vielfach verfilmten Roman von Robert Louis Stevenson. Uraufgeführt wurde es 1990 in Houston - die Doppel-CD halten viele Fans immer noch für die beste Aufnahme der Show. 1997 kam das Musical an den Broadway. 1999 erlebte es unter der Regie von Dietrich Hilsdorf seine europäische Erstaufführung in Bremen (in der Übersetzung von Susanne Dengler, die auch die Lisa spielte). Diese Produktion wurde auch in Wien und Köln gezeigt. Seit März 2007 (Premiere in Chemnitz) gehört "Jekyll & Hyde" im deutschsprachigen Raum auch zum Stadttheater-Repertoire.
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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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Leider keine aktuellen Aufführungstermine. |
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