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 Drama
Cabaret Don't tell Mama! Keine Experimente: In Bad Vilbel bekommt das Publikum eine konventionelle, solide Klassiker-Inszenierung mit kleinem, sehr starkem Ensemble und einer herausragenden Hauptdarstellerin vorgesetzt.
(Text: Daniel von Verschuer) Premiere: | | 10.06.2009 | Letzte bekannte Aufführung: | | 06.09.2009 |
Ein stark geschminkter, irr blickender Mann humpelt an die Bühnenkante und begrüßt das Publikum: "Willkommen, bienvenue, welcome!" Matthias Paganis Conférencier ist mal zynischer Beobachter, mal maskenhafter Schatten, mit nuanciertem Spiel und zur Rolle passender Knödelstimme hält er den Zuschauern den Spiegel vor, kommentiert bissig und mit stechendem Blick das Geschehen und verfolgt von fern die verzweifelten Versuche der Protagonisten, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Eine Paraderolle für Pagani! Dem Gastgeber des Kit Kat Club hat Regisseur Egon Baumgarten vier famose Girls zur Seite gestellt, allesamt mit toller Ausstrahlung und allerhand Gesangs- und Bewegungstalent. Der große Verdienst der Regie ist es, dass das kleine Ensemble (insgesamt stehen vierzehn Darsteller auf der Bühne) durchgängig auf sehr hohem Niveau spielt, tanzt und singt - kein Ausfall, keine Schwankungen. Marina Edelhagen als melancholisches Fräulein Schneider und Michael Hiller als unbeholfener Herr Schultz können ebenso punkten wie Sissy Staudinger als dralle Kurtisane Fräulein Kost und Thomas Schweins in der Rolle des Ernst Ludwig: den Nazi-Mitläufer legt er als ganz besonders unangenehmen Charakter an, sein Gewaltausbruch gegen Ende bleibt nachhaltig im Gedächtnis.
Mit sparsamen Mitteln - Showtreppe, schummriges Licht, drei Tische - kreiert Ausstatter Thomas Pekny auf der dreieckigen, nach hinten spitz zulaufenden Bühne das drittklassige Etablissement, in dem Berlin den Alltag hinter sich lässt. Die Tische stehen links und rechts auf zwei von den Darstellern mit Muskelkraft bedienten Drehbühnen und verschwinden bei Bedarf, um Cliffs Schlafzimmer oder Fräulein Schneiders Esstisch Platz zu machen. Die in anderen Inszenierungen oft ins Geschehen einbezogene Band unter der Leitung von Thomas Lorey spielt solide, sitzt aber leider meist unsichtbar hinter der Rückwand oberhalb der Showtreppe.
Insgesamt bietet Baumgartens Inszenierung nichts Überraschendes - das Publikum bekommt, was es erwartet, nicht mehr, nicht weniger. Obwohl der Regisseur hier und da gestrichen hat - beispielsweise entfällt die Zugszene am Anfang - hat die Inszenierung einige Längen. Die Verlobungsfeier hätte sowohl eine Straffung als auch mehr Tempo vertragen können, auch Herr Schultz' Annäherungsversuche gegenüber Fräulein Schneider und die Schlafzimmerszenen mit Cliff und Sally geraten etwas langatmig. Die Szenen im Club vergehen durch die Power und Verve der Kit Kat Girls und Britta Balzers grandioses Bühnentemperament hingegen wie um Flug.
Überhaupt kann Balzer für sich verbuchen, aus einem sehr starken, homogenen Ensemble noch einmal herauszustechen. Sie nutzt die sich bietenden Möglichkeiten konsequent und brilliert bei Showstoppern wie "Don't Tell Mama" - hier auf Deutsch: "Meine Mama geht’s nichts an" - und "Maybe This Time" ebenso wie in den leidenschaftlichen Wortgefechten mit Alen Hodzovic (als Cliff gar nicht so farblos wie viele seiner Rollenvorgänger). Dass sie mit dunkler Kurzhaarfrisur optisch sehr an Liza Minelli erinnert, ist sicher gewollt, wäre aber nicht nötig gewesen - mit ihrer Charakterisierung der Sally als energiegeladene, am Ende verzweifelt um ihr Leben singende Verliererin erfindet Balzer die Rolle zwar nicht neu, berührt jedoch ebenso wie ihre berühmte Vorgängerin. Mit gutem Gespür für die richtige Dynamik haucht sie den Beginn des Titelsongs, um zum Ende hin mit wuchtigem Belt Sallys Motto in die nächtliche Kälte hinauszutragen: "Leben ist wie ein Cabaret - ich liebe das Cabaret!"
(Text: Daniel von Verschuer)

Verwandte Themen: News: PdW: Cabaret (08.06.2009) News: "Cabaret" in Bad Vilbel mit Hodzovic und Balzer (24.04.2009)
Kreativteam
Besetzung
Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 1 Zuschauer hat eine Wertung abgegeben:

    27832 Absolut sehenswert
11.06.2009 - Eine absolut sehenswerte und gelungene Inszenierung in der Wasserburg. Genial besetzt Mathias Pagani als Conferenciér, Martina Edelhagen als Fräulein Schneider und Sissy Staudinger als Fräulein Kost.

Patachou (2 Bewertungen, ∅ 5 Sterne) 
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(*) mit Einführungsgespräch |
| Handlung | Berlin kurz vor dem Zweiten Weltkrieg. mehr Der unbekannte amerikanische Schriftsteller Cliff Bradshaw reist in die deutsche Hauptstadt, um Inspiration für sein neues Werk zu finden. Im Kit-Kat-Club ist Cliff ist fasziniert von Sally Bowles, neben dem zwielichtigen Conferencier absoluter Star des Etablissements. Schnell wird aus Cliff und Sally ein Paar, Sally wird schwanger. Doch der erstarkende Nationalsozialismus macht sich bemerkbar. Auf der Verlobungsfeier seiner Pensionswirten Fräulein Schneider mit dem jüdischen Obsthändler Herr Schultz wird Cliff mit den politischen Entwicklungen in Deutschland konfrontiert und überdenkt seine Zukunftspläne.
| Weitere Infos | Aufführungsrechte: Verlag Felix Bloch Erben
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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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Leider keine aktuellen Aufführungstermine. |
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