Alex Melcher (Judas), Ensemble © VBW / Herwig Prammer
Alex Melcher (Judas), Ensemble © VBW / Herwig Prammer

Jesus Christ Superstar (2023)
Vereinigte Bühnen, Wien

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Quasi traditionell steht vor Ostern “Jesus Christ Superstar” in einer semi-konzertanten Fassung auf dem Spielplan der Vereinigten Bühnen Wien. Ebenfalls schon beinahe traditionell übernimmt Drew Sarich die Titelpartie des Jesus. Zu ihm gesellen sich in diesem Jahr Alex Melcher als Judas und die aus der aktuellen “Rebecca”-Inszenierung bekannte Nienke Latten in der Rolle der Maria Magdalena. Leider verlässt sich Regisseur Alex Balga zu sehr auf seine prominente Cast. Die Inszenierung weiß nicht, ob sie konzertant, semi-konzertant oder vielleicht doch eine volle Inszenierung sein will und auf der Bühne entsteht ein wildes Tohuwabohu, bei dem sowohl die Cast als auch das Publikum zwischendurch den Überblick verliert.

Beim Betreten des Zuschauerraums und dem Blick auf die offene Bühne des Raimund-Theaters muss das Herz jedes Musicalliebhabers kurzzeitig schneller schlagen. Im Hintergrund der Bühne, wo das Orchester der Vereinigten Bühnen Wien Platz nimmt, stehen über 40 Stühle und Notenpults. Entsprechend satt und voll ist dann auch der Sound, der das Publikum bereits in der treibenden Ouvertüre in die letzten sieben Tage im Leben von Jesus Christus hineinkatapultiert.

Der mittlerweile gängigen Lesart “Jesus Christ Superstars” der letzten Jahre folgend, ist auch die aktuelle konzertante Wiener Fassung der Rockoper in der Gegenwart angesiedelt. Sie orientiert sich stark an der britischen Arena-Tour-Produktion, die 2012 in der O2-Arena in London startete und in den Folgejahren erfolgreich an verschiedenen Spielorten im Vereinigten Königreich gezeigt wurde. So werden im Hintergrund immer wieder Ausschnitte aus Nachrichtensendungen mit Szenen aus aktuellen Krisengebieten gezeigt. Das Geschehen auf der Bühne wird von einer Truppe von Reportern begleitet und mit Kamera aufgezeichnet, deren Live-Feed ebenfalls Teil der Videoprojektionen wird. Judas ist eine Art Punk, Jesus und seine Jünger tragen hippe Alltagskleidung und Pilatus ist ein moderner Politiker in Anzug und Krawatte. Nachdem Jesus gefangengenommen wird, wird ihm – genau wie in der UK-Tournee – ein orangefarbener Gefängnisoverall verpasst und die Kreuzigung findet an einem Stahlrohr anstatt an einem Kreuz statt.

Auch wenn das Inszenierungskonzept damit alles andere als innovativ daherkommt, hätte “Jesus Christ Superstar” in Wien doch alles, was es für eine gelungene Konzertfassung eines Musicals bräuchte: Eine solide Idee, eine renommierte Besetzung und eine tolle Orchesterbegleitung. Obwohl das Publikum der (wohl in großen Teilen bekannten) Handlung folgen und die einzelnen Szenen erkennen kann, geht die Show in dieser Form allerdings nicht auf. Zu einem Großteil liegt das daran, dass die wenigen eigenen Ideen schlichtweg nicht in aller Konsequenz zu Ende gedacht wurden. So zu Beispiel die, Jesus und Judas nicht wie die restliche Cast mit Mikroports, sondern mit Handmikrophonen auszustatten. Sicherlich unterstützt dies den Eindruck eines Rockkonzerts. Allerdings hätte dann auf die Spielszenen verzichtet werden müssen. Genau dann behindern nämlich die Handmikrophone die Darsteller völlig. Das geht soweit, dass in einer Szene, in der die beiden in Streit geraten und Jesus Judas von sich wegschubst, Judas’ Hand mit dem Mikrophon nach hinten geschleudert wird und sein Gesang komplett im lauten Orchestersound untergeht. Und wenn schon durch die Mikrophone auf den konzertanten Eindruck des Abends hingewiesen werden soll, bleibt völlig unklar, warum nur die beiden Hauptdarsteller diese benutzen.

Unklar scheint dem Ensemble auf der Bühne auch häufig die Choreographie zu sein. Wenn Tanzschritte auf der Stelle stattfinden, hat die Choreographie das gewohnt hohe Niveau einer Produktion der Vereinigten Bühnen Wien. Sobald allerdings mehr Bewegung ins Spiel kommt, läuft das Ensemble wild durcheinander und das Publikum verliert rasch den Fokus des Geschehens. Gerade bei den begrenzten Platzmöglichkeiten einer konzertanten Fassung mit Orchester auf der Bühne wäre eine gut koordinierte Choreographie enorm wichtig. Wenig zur Orientierung trägt zudem auch das nervös wirkende Lichtdesign bei.

Die verschiedenen Handlungsorte werden durch zwar hochwertige – sich zum Teil bewegende – Projektionen angedeutet, der Wechsel zwischen fotorealistischen Darstellungen wie der goldenen Kuppel des Jerusalemer Felsendoms aus verschiedenen Perspektiven einerseits und comicartigen Zeichnungen von Tempelmauern andererseits wirkt allerdings ziemlich beliebig. Auch hier hätte eine konsequentere Darstellungsart dazu verholfen, die Show als Einheit zu begreifen. Die zeitgenössischen Verweise in den Projektionen – ob es die Banner mit Web-Adressen an Mauern sind oder der im Harrods-Schriftdesign gehaltene Name “Herod’s” über dem Eingang zum Palast Herodes – sind ein wenig zu plakativ ausgefallen.

Die Cast wird angeführt von Drew Sarich in der Rolle des Jesus. Zweifelsohne lässt er sich als Idealbesetzung beschreiben, die auch über den deutschsprachigen Raum hinaus ihresgleichen suchen dürfte. Er bringt die Zerrissenheit und Zweifel seiner Rolle absolut überzeugend über die Rampe. Nachdem der letzte Ton seines “Gethsemane” erklungen ist, bleibt es sekundenlang totenstill im Theater, bevor das Publikum in nicht enden wollenden Applaus ausbricht. Da hat es sein Gegenspieler – Alex Melcher als Judas – selbstverständlich schwer gegen ihn anzukämpfen. Bei seinem “Heaven on Their Minds” rockt er die Bühne und schraubt sich gekonnt in die höchsten Töne. Insgesamt wirken sowohl seine Darstellung als auch sein Gesang allerdings ein bisschen überzogen.

Nienke Latten darf als Maria Magdalena den wunderbar souligen Part ihrer Stimme zeigen. Die Rollenauslegung aber bleibt zweidimensional und kratzt kaum an der Oberfläche eines so komplexen Charakters wie Maria Magdalena. James Park ist ein nachdenklicher und grübelnder Pilatus und Christian Rey Marbella als König Herodes optisch eine Mischung aus Elton John und Freddie Mercury. In Erinnerung bleibt neben Drew Sarich allerdings vor allem Timo Verse in der kleinen Rolle des Annas. Mit psychopathischem Blick füllt er seine Rolle und gibt der Figur des Hohepriesters in seinen wenigen Auftritten eine beinahe fanatische Ausstrahlung.

Wenn Jesus am Kreuz seine letzten Worte gesprochen hat und stirbt, setzt mit dem Beginn des Orchesterstücks “John Nineteen: Forty One” ein Regen aus Rosenblättern ein und Maria stürzt verzweifelt aufschreiend und weinend auf die Bühne. Mit diesem extrem emotionalisierten, fast schon kitschigen Schlussbild bricht die Regie mit den vorhergegangenen Szenen, in denen die Jünger bei “Could We Start Again, Please?” eben noch mit Maschinengewehrsalven auseinandergetrieben und Jesus anschließend brutal und sehr blutig ausgepeitscht und gekreuzigt wurde. Dieser Bruch ließe sich als bewusst eingesetztes Stilmittel sehen, wäre die Show zuvor schlüssig erzählt worden. In dieser Inszenierung steht er so allerdings sinnbildlich für einen Theaterabend der verschenkten Möglichkeiten.

 
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KREATIVTEAM
RegieAlex Balga
Musikalische LeitungHerbert Pichler
Stellvertretende Musikalische LeitungCarsten Paap
ChoreographiePascale-Sabine Chevroton
Associate ChoreographieElisabeth Blutsch
LichtdesignAndrew Voller
SounddesignPatrick Polly
KostümNicole Panagl
VideodesignSam Madwar
 
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CAST (AKTUELL)
JesusDrew Sarich
JudasAlex Melcher
Maria MagdalenaNienke Latten
PilatusJames Park
KaiaphasDennis Kozeluh
HerodesChristian Rey Marbella
SimonThomas Hohler
AnnasTimo Verse
PeterRaphael Gross
Soul GirlsKatharina Gorgi
Veronica Appeddu
Anna Carina Buchegger
PriesterKaj-Louis Lucke
Peter Kratochvil
Florian Resetarits
EnsembleJev Davis
Peter Knauder
Shane Landers
Maria Pampori
Lilly Rottensteiner
Steven Seale
Rebecca Soumagné
Ariane Swoboda
Yuri Yoshimura
Anna Zagler
  
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TERMINE
keine aktuellen Termine
 
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TERMINE (HISTORY)
Fr, 31.03.2023 19:30Raimund Theater, WienPremiere
Sa, 01.04.2023 19:30Raimund Theater, Wien
Mo, 03.04.2023 18:30Raimund Theater, Wien
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