Owen Read (Herman), Meik van Severen (Joan), Mathilda Switala (Penny) © Thomas Koy
Owen Read (Herman), Meik van Severen (Joan), Mathilda Switala (Penny) © Thomas Koy

Radioland (2023)
Neuköllner Oper, Berlin

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

Das in der Nordsee vor der Ost-Küste Großbritannien liegende Fürstentum Sealand ist auf keiner Landkarte der Welt zu finden. Das Stück “Radioland” erzählt die Entwicklung der ehemaligen Seefestung vom Piratensender bis zum international nicht anerkannten Mikrostaat in den 1960er und 1970er Jahren. Die Uraufführung an der Neuköllner Oper in Berlin eckt in Musik und Inszenierung an.

Schock für Familie Bates: Die BBC beendet im August 1967 ihre Pop-, Rock- und Beatmusik-Blockade und sendet ein Programm für junge Zuhörer. Das bedeutet das Aus für ihren Piratensender, den die Familie illegal auf einer von ihr gekaperten, ehemaligen Flakplattform aus dem Zweiten Weltkrieg in der Nordsee betreibt. Tochter Penny, deren Ideale Freiheit, Autonomie und Selbstbestimmung sind, hat die rettende Idee. Auf der knapp zehn Kilometer vor der Küste von Suffolk in internationalen Gewässern verankerten Seefestung entsteht das souveräne Fürstentum Sealand. Bei der Proklamation wird die neue Fahne gehisst, eine Hymne gespielt und ihr Vater ruft als selbsternannter Fürst Roy das Staatsmotto “E mare Libertas” (Freiheit aus dem Meer) aus. Der Chef des Mikrostaates plant, steuerfreie Firmengründungen zuzulassen, sowie Adelstitel und Kaffeetassen zu verkaufen.

Doch dann taucht der zwielichtige Dr. Dr. Dr. Herman Z. German auf der Plattform auf. Gemeinsam mit einem internationalen Konsortium aus Investoren möchte er dem Fürsten sein Reich abkaufen, um darauf ein Las Vegas auf hoher See mit Spielcasinos und dem Freizeitpark “Dreamworld” zu errichten. Als Fürst Roy mit seiner Ehefrau Joan zur vermeintlichen Geldübergabe in Salzburg weilt, setzt der hinterlistige deutsche Investor das einzige auf hoher See verbliebene Familienmitglied, Erbprinz Michael, fest und nimmt Sealand ein. Doch die Bates erobern ihren Staat mit einem gewagten Hubschrauber-Manöver zurück und verurteilen als eigene Staats-Judikative Herman zu einer Geldstrafe von 100.000 D-Mark, die er auf der Plattform abarbeiten muss.

Diese unglaubliche, auf einer wahren Begebenheit beruhende Geschichte des Fürstentums Sealand und der Familie Bates haben Fabian Gerhardt und Lars Werner für die Bühne adaptiert. Christopher Verworner und Misha Cvijović, beide gleichzeitig auch musikalische Leitung in Personalunion, haben dazu die Musik komponiert. Verworner orientiert sich dabei für die Episoden des Piratensenders, der Familiengeschichte und der Staatsgründung an der damaligen Popmusik mit Einflüssen aus Rock´n´Roll, Beat und Musik der Hippie-Bewegung. Co-Komponistin Cvijović steuert für die in den Handlungsablauf immer wieder eingestreuten Gerichtsszenen eine Mischung aus zeitgenössischer, oratorienhafter Klassik und Techno-Beats bei. Mit Ausnahme des hymnenhaften Duetts der Bates-Kinder “Ach Penny (Michael), ach Schwester (Bruder)” im zweiten Akt, sind nur selten wirklich zusammenhängende Melodienbögen, die einen Song ergeben, zu hören.

Co-Autor Fabian Gerhardt führt auch Regie und hinterlässt im Publikum das eine oder andere Fragezeichen. Warum beim Elternpaar Bates Vater Roy mit einer Darstellerin besetzt ist und Mutter Joan von einem Mann gespielt wird gehört dabei noch zu den kleineren Merkwürdigkeiten. Warum der angeblich über eine Strickleiter auf die Plattform eingedrungene Herman für sein Auftrittslied eine E-Gitarre dabei hat und sich darauf begleitet, ist ebenso fragwürdig, wie ein völlig überflüssiges Ballett von Meerestieren mit Gummimasken oder die Darstellung des Angeklagten als hechelnden Hund. In Gerhardts Inszenierung liegen Parodie und Peinlichkeit eng beieinander.

Die im Hintergrund leicht erhöht stehende Acht-Personen-Band ist einheitlich schwarz kostümiert, trägt auffällige schwarze Hornbrillen und den bei Popgruppen der 1960er-Jahre üblichen Pilzkopfschnitt. Sie werden als Schallplattenunterhalter angesprochen und dürfen in den Szenen des Piratensenders auf Aufforderung der Familie “Wetterberichts-Musik” oder heldenhafte Klänge spielen. Für das Kostümbild der Bates-Familie hat Sophie Peters zeittypischen Schick entworfen, Fiesling Herman hingegen ist das typische Abbild eines Deutschen mit Seppelhose und weißen Socken in den Sandalen. Alle Beteiligten sind in einer Art “Dauerzappel-Einsatz” des Choreografen Chris Jäger.

Bühnenbildnerin Sabrina Rossetto postiert in die Mitte des variablen Raumes der Neuköllner Oper eine Plattform mit einem Geschütz und gruppiert die Tribünen für die Zuschauer frontal davor sowie rechts und links davon. Aus mehreren Zugängen können die Darsteller von unten und hinten auf die Spielfläche gelangen. Links und rechts über den Zuschauern gibt es eine Übertitel-Anzeige, die zunächst auf Englisch übersetzt. Wenn nach der Pause die auf der Bühne gesprochene Sprache in einigen Szenen ins Englische wechselt, gibt es dort eine deutsche Übersetzung zu lesen. Zum Finale hin wird es dann besonders wild, wenn zweisprachige Passagen wie “Language is quiete schwierig” oder “I stand here and du sitzt da and you are hilflos” übersetzt werden. Auch hier erschließt sich kaum ein Sinn.

Getragen wird der Abend von einem eher durchschnittlichen Cast, der fast permanent auf der Bühne präsent ist. Stefanie Dietrich gibt einen recht robusten Vater Roy, dem man seine kriegerische Haudegen-Vergangenheit im Zweiten Weltkrieg von der ersten Sekunde an abnimmt. Ebenso wie Mathilda Switala als aufmüpfige Tochter Penny, schleudert Dietrich immer wieder einzelne Spitzentöne ins Publikum, kann sich aber – wie in ihrem ersten Song – nur schwer gegen die ziemlich laute musikalische Begleitung durchsetzen. Switala hat es in ihren eher etwas ruhigeren Songs sehr viel einfacher und beeindruckt mit ihrem Spiel auf der Geige. Meik van Severen als Mutter Joan und Armin Wahedi Yeganeh als Sohn Michael sind gute, bewegliche Schauspieler, aber eher blasse Sänger. In der Rolle des Fieslings Herman lebt sich Owen Read so richtig aus und zeigt die beste darstellerische Leistung auf Sealand.

“Radioland” hat zwar viele Berührungspunkte mit einem Musical, ist aber vielmehr experimentelles Musiktheater, das man mögen und verstehen muss. Auf jeden Fall wird eine spannende Geschichte eines nahezu unbekannten Mikrostaates erzählt, der auch im Jahr 2023 noch existiert und über das Internet Adelstitel und Kaffeetassen verkauft.

 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
KREATIVTEAM
Komposition, Arrange­ments, musikalische LeitungChristopher Verworner
Misha Cvijović
TextLars Werner
Fabian Gerhardt
Songtexte, InszenierungFabian Gerhardt
ChoreografieChris Jäger
BühneSabrina Rossetto
KostümSophie Peters
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (AKTUELL)
MichaelArmin Wahedi Yeganeh
PennyMathilda Switala
(Lucille-Mareen Mayr)
HermanOwen Read
RoyStefanie Dietrich
(Sophia Euskirchen)
JoanMeik van Severen
MusikerPhilip Dornbusch
Sven Holscher
Sabrina Ma
Jakob Roters
Fabian Sackis
Christopher Verworner
  
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
TERMINE
keine aktuellen Termine
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
TERMINE (HISTORY)
Do, 26.01.2023 20:00Neuköllner Oper, BerlinPremiere
Fr, 27.01.2023 20:00Neuköllner Oper, Berlin
So, 29.01.2023 18:00Neuköllner Oper, Berlin
▼ 16 weitere Termine einblenden (bis 26.02.2023) ▼
Zur Zeit steht die Funktion 'Leserbewertung' noch nicht (wieder) zur Verfügung. Wir arbeiten daran, dass das bald wieder möglich wird.
Overlay