Terence van der Loo (Tarzan) © Johan Persson
Terence van der Loo (Tarzan) © Johan Persson

Tarzan (seit 11/2023)
Palladium Theater, Stuttgart

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Ziemlich genau 10 Jahre nachdem der Mann im Lendenschutz im Stuttgarter Apollo Theater erstmals durch den Urwald schwang, feierte “Tarzan” nun direkt auf der anderen Straßenseite im Palladium Theater nach einer Bühnenpause wieder Premiere. Einige Änderungen hat das Stück mittlerweile durchlaufen, von denen aber nur Kenner des Musicals etwas merken dürften. Auch nach vielen Jahren verspricht “Tarzan” noch immer gute Unterhaltung, überzeugende Darsteller und viel fürs Auge.

Schon der Weg zum Sitzplatz vor der Show ruft bei Groß und Klein große Augen hervor: Der vordere Teil des Auditoriums ist mit grünen Dschungelpflanzen, Ranken und Lianen dekoriert und es prangert eine große, dramatisch beleuchtete Afrika-Karte mitsamt eines Expeditionsschiffs auf dem Bühnenvorhang, während rechts und links von der Bühne Tagebucheinträge des Schiffskapitäns davon zeugen, dass sich die Besatzung in einen verheerenden Sturm hinein manövrieren wird. Mit einem Knall, der den Zerstörung bringenden Blitz imitiert, beginnt das Stück. Ein Ehepaar schwimmt unter Wasser um sein Leben, dem rettenden Ufer entgegen. In der nächsten Szene sieht man beide von oben, gestrandet in einem fernen, exotischen Land. Wiederum eine Szene weiter beobachtet man das Paar, wie es sich ein Baumhaus errichtet. Urwaldgeräusche dringen von allen Seiten ans Ohr und man fühlt sich mit einem Schlag mitten in die Wildnis versetzt. Von allen Bühnenecken und -aufgängen, durch die Gänge des Publikums und von der Decke des Theaters erscheinen zeitgleich die Gorillas des Dschungels und es ertönt das Lied “Zwei Welten, eine Familie”. Eine Gorillafamilie spielt zeitgleich mit dem Menschenpaar mit ihrem Nachwuchs, durch den linken Parkettgang schleicht sich ein Leopard an und verbreitet nahendes Unheil. Dieser rasche Szenenwechsel, das immersive Gefühl und das dramaturgisch perfekt eingesetzte Lied generieren einen Gänsehautmoment, der emotional und visuell überwältigt.

Danach verliert das Stück merklich an Momentum, es gibt vergleichsweise rudimentäre Szenen- und Bühnenbildwechsel und es entstehen einige drehbuchbedingte Längen, die vermutlich nur dem Tarzan-Mehrfachbesucher auffallen – frische Erstbesucher dürften von der Visualität des Stückes nachhaltig so beeindruckt sein, dass die dramaturgischen Schwächen und die hölzernen Dialoge kaum ins Gewicht fallen. Zu schön ist es, auch ein drittes, viertes oder achtes Mal die Gorillas an ihren Lianen gekonnt von der Decke baumeln und umherschwingen zu sehen und darauf hinzufiebern, dass Tarzan selbst über das Publikum bis in die Ränge hinauf fliegt.

Auch für das bereits einiges gewöhnte Zuschauerauge wird etwas geboten:  Eine himmelblau gekleidete Tänzerin wirbelt grazil, einen Wasserfall mimend, wellenartig umher. Exotische, zum Leben erweckte Dschungelpflanzen strahlen in den prächtigsten Farben bei Janes erstem Auftritt. Das Zeltlager der Engländerin wird tosend und höchst unterhaltsam am Anfang des zweiten Aktes von den Gorillas auseinandergenommen. Einige Beispiele dafür, dass “Tarzan” trotz merklicher Längen und sich wiederholender Effekte durchaus auch immer noch einige einzigartige und spektakuläre Bühnenbildern entstehen lässt.

Im Vergleich zur Vorgängerversion wurden leider einige Änderungen vorgenommen, die der Dramaturgie des Stücks entgegenlaufen: Als Jane von Tarzan befreit wird, findet sie sich nicht mehr in den Fängen einer bedrohlichen Riesenspinne, sondern hat sich lediglich in den Ranken einer Pflanze verheddert – die zwar, wie später gesagt wird, fleischfressend war, aber in dem Moment augenscheinlich keine wirkliche Bedrohung darstellt. Auch der Endkampf von Clayton mit seinen Gefolgsmännern gegen die Gorillas und Tarzan, den man eher als Rangelei bezeichnen könnte, ist ohne merklichen Aufbau, Eskalation oder dem ernsthaften Gefühl einer prekären Konfliktsituation inszeniert. Dass Kerchak dabei stirbt, ist in dieser Version dadurch weitaus weniger ergreifend und wirkt eher wie ein Kollateralschaden, der eben hingenommen werden muss. Hier haben die Verantwortlichen einige Chancen verschenkt, der Geschichte emotionale Tiefe zu geben und einen sauberen dramaturgischen Aufbau zu inszenieren.

Ob die ‘Änderungen’ der aktuellen Bühnenversion nicht vielmehr ‘Einsparungen’ sind, ist bei den Fans von “Tarzan” schon vor der Premiere ein heiß diskutiertes Thema gewesen. Eine der prägnantesten Kürzungen betrifft die Figur von Janes Vater, Professor Porter. Dieser kommt in der 2023er Version von “Tarzan” als Charakter gar nicht mehr vor. Mit ihm verschwindet auch das beschwingte Duett “Wie kein Mann auf dieser Welt”, in dem Jane ihrem Vater von Tarzan vorschwärmt. Ohne Vaterfigur verändert sich außerdem Janes charakterliche Darstellung deutlich: Die anfangs noch etwas zerstreut und schrullig präsentierte Wissenschaftlerin mausert sich zur selbstbestimmten, starken Frau, die selbst Expeditionsleiterin ist und in mehreren Szenen dominanter daherkommt als vergangene Jane-Versionen. So singt sie im Duett “Auf einmal”, dass sie selbst ihren “Mann stehen” muss und ist am Ende diejenige, die Claytons Meuterei verhindert und ihm das Handwerk legt. Trotzdem wirkt die Figur immer noch fremdbestimmt, da sie gefühlt mehr den Vater rezitiert und auf sein Vermächtnis referiert als dass sie eigene Gedanken äußert und Ideen entwickelt. Man kommt als “Tarzan”-Mehrfachbesucher nicht umher, die sehr liebenswerte Figur des Professors doch zu vermissen. Die zahlreichen Referenzen von Jane zu ihrem verstorbenen Vorbild wirken fast wie eine ausufernde Rechtfertigung und Wiedergutmachung dazu, warum die Figur aus dem Stück gestrichen wurde. Einen uneingeschränkten Vorteil bietet diese Änderung aber allemal: Jane, die selbst keine Angehörigen mehr hat, versteht erst durch Tarzan und seine Gorillasippe die wahre Bedeutung von “Familie”, was ihre schlussendliche Entscheidung, bei Tarzan im Dschungel zu bleiben deutlich nachvollziehbarer macht und dem Schlusssong “Zwei Welten, eine Familie” nochmal tiefere Bedeutung gibt.

Die Choreographien mit den anspruchsvollen “Aerial” Passagen sind auch in dieser Version das Spektakulärste, was man auf Musicalbühnen zu sehen bekommt. Es verlangt enorme Kondition und Körperbeherrschung, diese Abläufe spielerisch wirkend zu meistern, was das Stück für die Darsteller enorm anspruchsvoll macht. Dabei geraten Schauspiel und Gesang unweigerlich vergleichsweise etwas in den Hintergrund. Das talentierte Ensemble gibt allerdings stets sein Bestes, allen drei Sparten Rechnung zu tragen – wobei der Fokus eindeutig auf den Choreographien liegt. Auch das Lichtdesign zeugt von Weltklasse-Güte. Durch funkelnde nächtliche Urwaldszenen, in denen es so wirkt, als wenn das ganze Theater voller flirrender Glühwürmchen sei, und dramatisch in bedrohlichem Rot ausgeleuchtete, nebelverhüllte Kampfszenen entstehen Momente, die wahrlich ein Fest für das Auge sind. Die kleine Band spielt Phil Collins Partitur beschwingt und mit ordentlich Wumms, hört sich aber stellenweise für so eine riesige (und teure!) Produktion doch insgesamt etwas zu knapp besetzt an. Dafür ist die Tontechnik sauber und weiß vor allem durch die Surround-artigen Urwaldgeräusche für Gänsehaut zu sorgen.

Starke Leistungen gibt es auch – zumindest zum Teil – auf der Bühne zu bewundern. Zum Einen wäre da Daniel Rakasz, der Kerchak emotional zerrissen und gleichzeitig väterlich interpretiert und ihn dadurch aus dem buchbedingt sehr flachen, eher antagonistischen Charakter deutlich heraushebt. Sidonie Smith gibt als Kala eine warme, nahbare und fast freundschaftlich agierende Affenmutter, die echte Tränen vergießt und so das Publikum an ihren Gefühlen teilhaben lässt. Ihr Song “Dir gehört mein Herz” ist der musikalisch berührendste Moment des Stücks. Auch zusammen harmonieren Rakasz und Smith als Gorilla-Ehepaar sehr symbiotisch und natürlich, was der sehr abrupten Todesszene von Kerchak am Ende glücklicherweise wenigstens noch ein wenig zugutekommt. Beide Darsteller wirken gesanglich, gemessen an ihren starken Stimmen und ihren Songinterpretationen, in diesen Rollen fast schon unterfordert. Man würde sich wünschen, in diesem Stück noch deutlich mehr von Rakasz und Smith zu hören und zu sehen.

Das kann leider vom Tarzan-Darsteller Terence van der Loo zumindest am besuchten Vorstellungsabend nicht gesagt werden. Mit dünner Stimme, einigen unsauberen Tönen und einer sehr zurückhaltenden Spielweise gelingt es ihm kaum, Bühnenpräsenz aufzubauen. An sich ist van der Loo eine durchaus attraktive und optisch passende Erscheinung auf seine Rolle und vermag auch scheinbar mühelos, jegliche Luft- und Bodenakrobatik zu vollführen – doch wird er von seinen deutlich charismatischeren Mitspielern zu often in den Schatten gestellt. Dass van der Loo durchaus Potenzial für diese Rolle hat, ist deutlich spürbar – so bleibt die Hoffnung, dass er sich im Laufe der Spielzeit noch besser in die Rolle einfindet.

Eine wahre Offenbarung ist allerdings Vajèn van den Bosch als Jane, die ihrer Figur Plastizität verleiht. Ihre Jane ist gleichzeitig liebenswert “quirky” und stark wie selbstbewusst in ihrem Auftreten. Sie verleiht der Figur mehrere charakterliche Schichten und präsentiert eine dreidimensionale Jane, die sich sehen lassen kann. Und hören erst recht! Ihre Songs “Auf diesen Tag hab ich gewartet” und vor allem das Duett “Auf einmal”, in dem sie ihren Duettpartner fast schon an die Wand singt, sind die gesanglichen Highlights der Show.

“Tarzan” ist vor allem ein Bühnenspektakel, das viel fürs Auge bietet und dabei weniger Fokus auf Inhalt, Geschichte und emotionale Figuren legt. Vor allem die starken Nebendarsteller sind aber durch ihre Interpretationen in der Lage, das Stück noch einmal aufzuwerten. Alles in allem ist “Tarzan” trotz der Längen und Schwächen schon deshalb einen Besuch wert, da die Bühnenshow als Ganzes wirklich einzigartig ist.

 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
KREATIVTEAM
Musik / LiedtextePhil Collins
BuchDavid Henry Hwang
Choreographie und TanzSergio Trujillo
Jim Abbott
Gianluca Passeri
Fight und Aerial ChoreographienPichon Baldinu
Rick Sordelet
Peter Stassen
Angela Phillips
Regie und AssistenzBob Crowley
Jeff Lee
Marcel Landgrebe
Licht und VideoNatasha Katz
George Reeve
Anthony Pearson
TonJohn N. Shivers
David Patridge
Orchestrierung und Vocal ArrangementsPaul Bogaev
Doug Besterman
Ratan Julian Jhaveri
Haar und Make-Up DesignDavid Brian Brown
Naomi Donne
Harold Mertens
Wouter Somers
KostümeBob Crowley
Reto Tuchschmid
Production SupervisorClifford Schwartz
Scenic DesignBrian Webb
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (AKTUELL)
TarzanTerence van der Loo
Robin Reitsma,
(Kasper Nilsson
Riccardo Sinisi)

JaneVajèn van den Bosch,
(Lyssa Tejero)
Affenmutter KalaSidonie Smith,
(Lyssa Tejero)
KerchakDániel Rákász,
(Raphael Dörr
Matthias Otte)

TerkElindo Avastia,
(Francesco Marino
Bruno Vida)

ClaytonLudo van der Winkel,
(Raphael Dörr
Matthias Otte)

EnsembleRaphael Dörr
Matthias Otte
Alexis Abreu
Rafael Fernandes Balbinot
Deike Darrelmann
Stuart Gannon [Aerial Captain]
Antonio Grasso
Karen Helbing
Aaron Hunt
Emilia Viglianesi [Dance Captain]
Hannah Leser
Francesco Marino
Michael Moore
Kasper Nilsson
Bradley Parsons
Jessica Reeve
André Regazzoni
Azzurra Salghetti
Ali Sinclair
Riccardo Sinisi
Paige Smith
Lyssa Tejero
Bruno Vida
  
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TERMINE
Do, 25.04.2024 19:30Palladium Theater, Stuttgart
Fr, 26.04.2024 19:30Palladium Theater, Stuttgart
Sa, 27.04.2024 14:30Palladium Theater, Stuttgart
Sa, 27.04.2024 19:30Palladium Theater, Stuttgart
So, 28.04.2024 14:00Palladium Theater, Stuttgart
So, 28.04.2024 19:00Palladium Theater, Stuttgart
Di, 30.04.2024 18:30Palladium Theater, Stuttgart
Do, 02.05.2024 19:30Palladium Theater, Stuttgart
Fr, 03.05.2024 19:30Palladium Theater, Stuttgart
Sa, 04.05.2024 14:30Palladium Theater, Stuttgart
▼ 507 weitere Termine einblenden (bis 27.07.2025) ▼
 
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TERMINE (HISTORY)
Mi, 08.11.2023 19:30Palladium Theater, StuttgartPreview
Do, 09.11.2023 19:30Palladium Theater, StuttgartPreview
Fr, 10.11.2023 19:30Palladium Theater, StuttgartPreview
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