Drew Sarich (Albin/Zaza) © Barbara Pálffy/Volksoper Wien
Drew Sarich (Albin/Zaza) © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

La Cage aux Folles (seit 03/2022)
Volksoper, Wien

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“Ich bin was ich bin, und was ich bin ist ungewöhnlich” – dieser Musical-Evergreen aus “La Cage aux Folles” von 1983 ist in jeder Musical-Gala ein Showstopper, wenn er überzeugend dargeboten wird. Drew Sarich schmettert den Signature-Song des Travestie-Klassikers in der Wiener Volksoper und beweist spätestens in diesem Moment am Ende des ersten Aktes, dass er in Zaza seine Paraderolle gefunden hat. Das schrullige, etwas in die Jahre gekommene Stück wird durch Sarichs unglaubliche Präsenz und ein starkes Ensemble unterhaltsam und trotz allen Klamauks emotional ergreifend dargeboten.

“Und jetzt sagen wir es alle zusammen, gell? Was sind wir? SCHRÄG!”, sagt Dragqueen Zaza bei einem ihrer Auftritte im La Cage und lässt das Publikum einstimmen. Tatsächlich ist “schräg” einer der großen Schlüsselbegriffe, der sich bei vielen Regie-Ideen bezüglich Kostümen, Charakteren und Requisiten geradezu aufdrängt. So entstehen vor allem in den Nachtclubszenen extrem skurrile Bilder: Eine riesige schwarze Ballonkatze erscheint auf der Bühne, während Zaza das Publikum fragt: “Und, gefällt euch meine Pussy?” Im nächsten Moment kommt ein überlebensgroßer goldener Käfig aus dem Boden hochgefahren, in dem das Ensemble als Raben gekleidet herumturnt und ironischerweise den Schwanentanz aufführen. Kurz darauf fangen die Raben an, die Katze zu verprügeln und sie in den riesigen Käfig zu stopfen.

In einer anderen Clubszene sehen wir einen gigantischen Hammer wie von einem Gerichtshof auf den Boden niederhämmern, umringt von tanzenden Juristen. Zaza erscheint zwischenzeitlich auch mal auf einem großen Erdball, umringt von weiteren glitzernden Planeten, auf denen sich ihre Cagettes räkeln. Prompt verwandelt sich der Erdball in einen riesigen TV-Bildschirm, der das Fernseh-Testbild zeigt, als Zaza die Performance unterbricht. Natürlich sind Zazas Drag-Auftritte auf einer Schaukel von der Bühnendecke hinabsinkend auch per se dramatisch. Zusammenhang? Sinn? Grund? Gibt es alles nicht. Einfach schräg, einfach unterhaltsam schrullig. So auch die Konzeption vieler kleinerer Rollen, bei denen sich die Regie freier entfalten kann, da diese Figuren nicht zwingend an das Drehbuch gebunden sind. Wir treffen auf eine sadomasochistische, peitschenschwingende Dragqueen namens Hanna aus Hamburg, die den Bühnenassistenten des La Cage im Verlauf des Stücks so traktiert, dass er mit Krücke, Gips und Halskrause am Ende seine Verlobung mit ihr verkünden muss. Das hat mit der Haupthandlung überhaupt nichts zu tun – auch hier gilt: einfach schräg und lustig!

Den vollen Schrägheitsfaktor erfüllt das Kostümdesign. Vor allem die meisterhaft geschminkten Cagettes treten in herausstechenden Drag-Kostümen auf, die von Rokoko-inspirierten Roben über punkige Kleiderfetzen bis hin zu Trachten und Catsuits reichen. Gerade, wenn man sich an den Kostümen satt gesehen hat, taucht Zaza in Ballkleid, Morgenmantel oder Trauergewand auf und sorgt wieder für große Augen im Publikum. Die meisten dieser Kostüme wirken opulent und hochwertig, modisch und körperbetont, wie von professionellen Queens der bekannten US-amerikanischen Drag-Serie “RuPaul’s Drag Race”, die laut Programmheft auch als Inspiration für die Inszenierung diente – und damit keineswegs nur camp oder gar veraltet und fade, sondern zeitgemäß und nah an der Szene. Der Höhepunkt des verrückten Kostümdesigns kommt am Ende des Stücks, als der Politiker Didon in einem Regenbogen-Federkleid, das ihn komplett zu verschlingen droht, über die Bühne trippelt. Ein Fest fürs Auge und die Lachmuskeln.

Die Handlungsorte der Hauptgeschichte werden deutlich moderater in Szene gesetzt. Stimmige Bühnenbilder, Kostüme und Requisiten lassen verschiedene Schauplätze entstehen: Ein riesiger Hintergrundvorhang mit einem Côte-d’Azur-Aufdruck dient als Kulisse von Albins und Georges Wohnung, die mit wenigen Art-Déco-Möbeln und etwas vulgären Exponaten die beiden Hauptfiguren wortlos charakterisiert. Das Bühnenbild wechselt dabei wenig – lediglich für die Nachtclubszenen und das gemeinsame Restaurant-Dinner mit Sohn Jean-Michel, seiner Verlobten Anna und den zukünftigen Schwiegereltern am Ende wird es weg befördert, um einen offenen Bühnenraum zu kreieren, in den eine kleine podestartige Unterbühne für das La Cage oder einige tropisch anmutende Pflanzen für ein Parkcafé stehen. Ein schöner und wiederum lustig-schräger Moment ist die Verwandlung des extravaganten Interieurs der Wohnung in einen drögen schwarz-weiß-Abklatsch in Vorbereitung auf den Besuch von Annes konservativen Eltern. Statt nackten Männerskulpturen hängt dann ein riesiges Jesus-Kreuz in der Wohnung. Dieser Kontrast wirkt gewollt übertrieben dargestellt, was für jede Menge Lacher sorgt.

Auch die vielen engmaschig getakteten Choreographien und Tänze stechen heraus, die vor allem durch die Cagettes begangen werden. Aber auch die Hauptfiguren sind in viele Choreographien effektvoll und vor allem lustig-schräg und damit überaus unterhaltsam eingebunden. Von angestaubten Tanzeinlagen aus den 1980ern keine Spur! Die Drag-Queens performen mit bekannten Szene-Moves wie dem “Vogueing” oder dem “Deathdrop” und werden ihren Rollen damit mehr als gerecht.

Tontechnik und Musik sind erfreulich stimmig. Die Texte sind bis in die letzten Reihen gut zu verstehen. Das große Sinfonieorchester der Wiener Volksoper gibt dem Stück einen fast überwältigend vollen Klang, der vor allem in den großen Nummern wie “Ich bin was ich bin” und “Der schönste Tag ist heut” perfekt mit dem Ensemble harmoniert. Dadurch werden auch die vielen eher lahmen Nummern, die stilistisch eher zum älteren Musicalgenre gehören, nochmal etwas aufgepeppt.

Das gesamte Ensemble sticht in kleinen, individuellen Rollen hervor. Jede Drag-Queen hat eigene Charaktermerkmale und kann – wenn auch jeweils nur kurz – brillieren. Auch gesanglich fügen sie sich einwandfrei in die Ensemblenummern ein, wobei vor allem das Zusammenspiel von einigen Stimmen mit klassischem Operntimbre einerseits und typischen Musicalstimmen andererseits gefällt. In den kleinen Rollen gelingt es besonders Lukas Mayer als Domina-Dragqueen Hanna und Martina Dorak als schrille Restaurantbesitzerin Jaqueline, komödiantische Höhepunkte zu setzen.

Die Hauptbesetzung ist insgesamt stimmig und geht in ihren Rollen auf. Oliver Liebl als Jean-Michel und Juliette Khalil als Anne geben ihren Figuren einen jugendlichen Charme und eine ansteckende Energie – auch die Liebesbeziehung kauft man den beiden sofort ab. Robert Meyer als Annes Vater gibt überzeugend den unsympathischen und spießigen, homophoben Politiker, inklusive “Merkel-Raute” bei seinem ersten Auftritt und opernhaftem Gesang in seinen Soloparts. Dass er auch anders kann, beweist er am Ende des Stücks mit dem notgedrungenen Auftritt im Nachtclub im bereits erwähnten bunten Fummel. Einen erfrischenden Gegenpart gibt Sigrid Hauser als seine Gattin – einerseits folgsam-fromme Ehefrau und Mutter, andererseits von Zaza und allem Schrillen und Schrägen total fasziniert. Diese Darstellung gelingt Hauser sympathisch und komödiantisch sehr effektiv.

Thorsten Tinney gibt einen darstellerisch im Vergleich zu vielen anderen Rollen deutlich zurückhaltenderen Georges, der perfekt als Kontrapunkt und Spielpartner zu Drew Sarichs Albin/Zaza funktioniert. Ihm gelingt es, die abgehobene Rolle von Sarich zu erden und so ein glaubwürdiges, wenngleich auch sehr unterschiedliches Liebespaar zu zeichnen, bei dem der Zuschauer vom Sprichwort “Gegensätze ziehen sich an” überzeugt wird. Seine Komik und der Unterhaltungswert seiner Rollenauslegung liegen zumeist im Dialog und gutem Comedy-Timing.

Die beiden absoluten Stars der Show sind allerdings Drew Sarich als Albin und Jurriaan Bles als dessen queerer, die Geschlechterrollen sprengender Butler Jacob, der lieber als Zofe tituliert werden möchte. Sarich und Bles geben ihren Rollen eine flamboyante Theatralik, die sich mit herrlicher, abgebrühter Trockenheit abwechselt. Jeder Blick, jede Geste, jeder Schritt, jedes Seufzen (oder Fauchen!) sitzt und erzeugt einen Lachanfall nach dem anderen im Publikum. Ganz besonders lustig und schräg wird es, wenn beide zusammen spielen – beispielsweise direkt zu Beginn des zweiten Akts, als Albin wegen der Zurückweisung durch seinen Ziehsohn trauert, standesgemäß in schwarzem Beerdigungsgewand, von seiner “Zofe” mit einem schwarzen Spitzensonnenschirm abgedeckt. Einfach herrlich lustig! Beide verfügen zudem über meisterhafte Fähigkeiten der körperlichen Komik – jeder Abgang von und jeder Aufgang in eine Szene lässt das Publikum kichern; das gelingt nicht jedem Darsteller!

Neben all dem Comedy-Gold dieser Produktion gelingt es Sarich aber auch, seiner ausgesprochen extravaganten Figur eine tiefgreifende, emotionale Nuance zu geben, die überraschend still, zurückhaltend und verletzlich sein kann. Sarich macht klar, dass Albins Alter Ego Zaza wie eine Art zweite Haut über seiner wahren Persönlichkeit liegt und ihm nicht nur viel gesellschaftlich Verpöntes ermöglicht, sondern auch seine eigene Seele schützend umgibt. Sarichs Darstellung der über die Zeit gewachsenen Beziehung zu Georges, der tiefen Liebe für den Ziehsohn und des Schmerzes über dessen Ablehnung lassen das Stück beinahe zu einer Tragikomödie werden – ein begnadeter Schauspieler, der mit jeder Faser seines Spiels und einer bombastischen Singstimme der Rolle und dem etwas angestaubten Klassiker neues Leben einhaucht. Nicht verpassen!

 
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KREATIVTEAM
Musikalische LeitungLorenz C. Aichner
Inszenierung, ChoreografieMelissa King
BühnenbildStephan Prattes
KostümeJudith Peter
 
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CAST (AKTUELL)
Albin
(alias Zaza)
Drew Sarich
Georges, NachtclubbesitzerViktor Gernot
Jacob, ButlerJurriaan Bles
Jean-Michel, Georges SohnOliver Liebl
Anne Dindon, Jean-Michels VerlobteJuliette Khalil
Edouard Dindon, ihr VaterRobert Meyer
Marie Dindon, ihre MutterSigrid Hauser
Jacqueline, RestaurantbesitzerinMartina Dorak
Francis, BühnenmanagerJakob Semotan
OdetteWilliam Briscoe-Peake
AngeliqueIlvy Schultschik
BitelleFabian Lukas Raup
MercedesDavid Eisinger
ChantalStefan Mosonyi
HannaGeorg Prohazka
DermahMartin Enenkel
MoniqueKevin Perry
PhädraPaul Csitkovics
Clo-Clo Eva Zamostny
M. RenaudGeorg Wacks
Mme. RenaudRenée Schüttengruber
ColetteTheresa Dax
EtienneMaximilian Klakow
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Do, 17.03.2022 11:00Volksoper, Wienverlegt auf 24.3.22
Fr, 18.03.2022 19:00Volksoper, Wienverlegt auf 25.3.22
So, 20.03.2022 19:00Volksoper, Wienverlegt auf 27.3.22
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