David Jakobs (Freddy), Ensemble © Jörn Hartmann - Dominic Ernst
David Jakobs (Freddy), Ensemble © Jörn Hartmann - Dominic Ernst

Ku'damm 56 (seit 11/2021)
Alte Oper, Frankfurt am Main

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastCast (Historie)Ter­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

Vieles, das in Film, Fernsehen oder Literatur erfolgreich ist, landet häufig irgendwann auch auf der Musical-Bühne. So auch der TV-Dreiteiler “Ku´Damm 56”. Die Adaption krankt hauptsächlich an einem unübersichtlichen Buch, das sich nicht auf einen Handlungsstrang fokussieren mag, sondern sich als Sittenbild der 1950er Jahre im Nachkriegsdeutschland austobt. Der tolle Cast rettet, was zu retten ist.

Langsam senkt sich die mit grell scheinenden Leuchtstoff-Röhren behängte Saaldecke in Richtung Bühnenboden hinab. Aus der Menge der dort liegenden Personen kann Monika Schöllack gerade noch durch einen Spalt herausschlüpfen. Damit entkommt sie der im West-Berlin der 1950er Jahre herrschenden Enge mit ihren auch aus heutiger Sicht völlig veralteten Wertvorstellungen. Was für ein starkes Bild zum Ende einer Aufführung, die optisch sonst nur wenig zu bieten hat.

Andrew D. Edwards` Bühnenraum erinnert an ein bis auf einen einsamen Kronleuchter leer geräumtes, schäbiges Altberliner Ballhaus. Links, rechts und hinten werden die Saalwände von einem mehrstöckigen, begehbaren Baugerüst gestützt. In dem mittleren, nach vorne verschiebbaren Element sitzt zentral die sechsköpfige Band. Rechts davon deuten eine bunte Tüten-Stehleuchte und ein Ohrensessel zaghaft ein typisches Wohnzimmer der Wirtschaftswunder-Zeit an. Dieses karge Bühnenbild ermöglicht Szenenwechsel in Windeseile, indem die Darsteller Stühle, Rollkisten, Mikrofonständer und eine Matratze hinein- und hinausbringen. Das ebenfalls von Andrew D. Edward entworfene Kostümbild mit Petticoats, braven Anzügen und Lederjacken entspricht zwar dem damaligen Zeitgeschmack, ist aber auch düster und farblos.

Dank dieser kargen Optik kann sich die Inszenierung ganz auf die Handlung konzentrieren. Das ist gar nicht so einfach, denn Annette Hess dampft ihre ursprünglich in drei Fernseh-Teilen ausgestrahlte Familien- und Sittengeschichte der 1950er Jahre auf zweimal 70-Musical-Minuten ein. Wie auf der Mattscheibe will die alleinerziehende Tanzschulen-Betreiberin Catarina Schöllack ihre drei Töchter durch Heirat wirtschaftlich absichern. “Frau Staatswanwalt” Helga und “Frau Professor” Eva fügen sich den erzkonservativen Erwartungen ihrer Mutter. Ihre Schwester Monika hingegen passt nicht ins propagierte, heimelige Heimatfilm-Idyll. Nach ihrem Rauswurf aus dem Institut für Hauswirtschaft versucht Monika – gegen den Widerstand ihrer Mutter und mit Billigung ihrer Schwestern – ein eigenes Leben aufzubauen.

Im Laufe der zusammengestückelt wirkenden Handlung werden fast alle 1950er Jahre Tabus abgearbeitet: Rebellion der Jugend gegen elterliche Konventionen, Enteignung von Juden, ungewollte Schwangerschaft, Haft im Konzentrationslager, skrupelloser Waffenhandel, Vergewaltigung und häusliche Gewalt werden zwar angerissen, jedoch nicht nachhaltig thematisiert. Eine glorreiche Ausnahme bildet die Homosexualität von Helgas Ehemann Wolfgang von Boost. Dieses “Problem” zwischen den Eheleuten zeichnet sich bereits in der Hochzeitsnacht im ersten Akt ab und gipfelt im zweiten Teil in eine brutalen Konversionsbehandlung mit Elektroschocks. Dabei will Wolfgang, wie er in seinem großen Solo-Song verzweifelt bekennt, einfach nur “ein besserer Mensch” sein.

Getrieben von den vielen Handlungssträngen lässt Regisseur Christoph Drewitz oft mehrere Handlungsstränge auf verschiedenen Ebenen parallel spielen. Das gibt seiner Inszenierung zwar Tempo, macht das Ganze aber auch etwas unübersichtlich. So klischeebelastet das Buch ist, so schablonenhaft entwickelt Drewitz auch die Personen. Da gibt es den verklemmt-versteckten Schwulen ebenso wie das brave Hausfrauchen mit Schürze weißen Bettlaken und den skrupellosen Industriemagnaten mit Handstock. Ganz schlimm trifft es die verbohrte Schöllack-Mutter, die stets die Hand in die Hüfte stemmt und damit ihre Macht demonstriert. Das macht ihre Masturbationsszene und das befreit-ausgeflippte Herumgetanze im Finale noch unglaubwürdiger. Bei anderen Figuren – wie dem verträumten Fabrikantensohn Joachim oder den farblosen Professor Fassbender – wirkt es oftmals so, als hätten die Darsteller ihre Rollen ohne einen Regisseur einstudieren müssen.

Deutlich positiver fällt die musikalische Seite der Show aus. Die Partitur verirrt sich zwar auch in Richtung operettenseligem Schlager und zackigem Rock`n`Roll, klingt aber größtenteils nach melodiösem 90er-Pop, der seine Komponisten Peter Plate und Ulf Leo Sommer nicht verleugnen kann. Ihre Songs sind eingängig und haben wie die Hymne “Berlin, Berlin” und der mehrfach wiederholte Opener “Monika” Ohrwurmpotenzial. Der Text zum Song “Alles wird gut”, in dem sich Helga ihr Hausfrauendasein schön singt, wirkt für heutige Ohren nicht nur witzig, sondern unterstreicht auch die Qualitäten der Liedtexte des Gespanns Plate/-Sommer. Die Band unter der Leitung des Schlagzeugers Caspar Hachfeld empfiehlt sich dazu als der passende Klangkörper, auch wenn die Abmischung zwischen Musikbegleitung und Gesang noch nachjustiert werden sollte.

Einfach eine Wucht ist der überzeugende Premieren-Cast, der sich spiel- und gesangsfreudig den geschilderten Unzulänglichkeiten widersetzt. Nicht nur beim rock`n`rolligen Song “Mutter Brause” springt der Funke in den ausgelassenen Choreografien von Jonathan Huor sofort über und sorgt für gute Laune im Parkett. Das stark
geforderte Ensemble, das zum großen Teil aus deutschen Musical-Schmieden rekrutiert wurde, unterstreicht deren hohe Ausbildungsqualität in Musik und Tanz.

Als vermeintliche Außenseiterin Monika vollzieht Sandra Leitner sowohl darstellerisch als auch gesanglich glaubhaft den Wandel vom bemittleidenswerten Mädchen ohne Zukunft (“Liebes Universum”) zur selbstbewussten Frau (“Ich tanz allein”). Als Türöffner zu ihrem neuen Leben fungiert Freddy, der in der Tanzschule ihrer Mutter für die musikalische Begleitung sorgt. David Jakobs gibt ihn als schlitzohrigen Hallodri, der bei Frauen nichts anbrennen lässt. Mit seiner großartigen Stimme darf er die dankbarsten Gesangsaufgaben erfüllen und ist dabei großartig. Zum Schlussapplaus bringt er mit der Zugabe “Berlin, Berlin” den Theatersaal zum Kochen.

In der Rolle der Caterina Schöllack wirkt Katja Uhlig zwar optisch wie eine ältere Schwester ihrer Töchter, macht dies aber in Spiel und Gesang locker wett. Mit straffer Hand führt sie ihre beiden Firmen “Tanzschule” und “Familie” und lässt erst dann ihren weichen Kern zum Vorschein kommen, als sie feststellen muss, dass ihr bisheriges Leben eine einzige Enttäuschung ist. Besonders im sehnsuchtsvollen Song “Früher” führt Uhlig ihren schönen Sopran mühelos bis in die höchsten Höhen. Auch ihre beiden Töchter Helga und Eva sind mit Tamara Pascual und Isabel Waltsgott darstellerisch und gesanglich auf den Punkt besetzt. Gleiches gilt auch für Dennis Hupka als den unglücklich verheirateten Schwiegersohn Wolfgang.

Zwei Dinge kann “Ku`damm 56” auf jeden Fall: Das Musical führt uns nicht nur die Spießigkeit und Doppelmoral der ersten Nachkriegsjahre in Westdeutschland vor Augen. 65 Jahre später macht es dank toller Darsteller und abwechslungsreicher Musik in schwierigen Zeiten einfach gute Laune.

 
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KREATIVTEAM
AutorinAnnette Hess
MusikPeter Plate
Ulf Leo Sommer
Daniel Faust
Joshua Lange
LiedtextePeter Plate
Ulf Leo Sommer
InszenierungChristoph Drewitz
Musikalische LeitungCaspar Hachfeld
AusstattungAndrew D. Edwards
ChoreografieJonathan Huor
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastCast (Historie)Ter­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (AKTUELL)
Caterina SchöllackKatja Uhlig
Monika SchöllackSandra Leitner
Helga SchöllackPamina Lenn
Eva SchöllackIsabel Waltsgott
FreddyDavid Jakobs [München]
Pedro Reichert [Frankfurt]
Nico Went [Berlin]
Wolfgang von BoostPatrick Cieslik [München u. Frankfurt]
Dennis Hupka [Berlin]
JoachimDavid Nádvornik
Professor FassbenderHolger Hauer
Otto FranckRudi Reschke
Fritz AssmannJerry Marwig
Gerd SchöllackMarco Billep [Frankfurt u. Berlin]
Dominik Schulz [München u. Berlin]
EnsembleFelix Freund
Timo Stacey
Lars Wandres
Faye Bollheimer
Lisa Radl
Martin Timmy Haberger
Philipp Nowicki
Wolfgang Türks
Vanessa Wilcek
Lisa-Marie Sumner
Jacob Hetzner
Silvio Römer
Sophia Riedl
AJ Kingma
Katrin Merkl
Michaela Thurner
Nele Neugebauer
Florentine Beyer
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastCast (Historie)Ter­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (HISTORY)
Caterina SchöllackKatja Uhlig
(Shari Lynn Stewen
Vanessa Wilcek
Lisa Marie Sumner)

Monika SchöllackSandra Leitner
(Nele Neugebauer
Sophia Riedl
Lucille-Mareen Mayr
Florentine Beyer)

Helga SchöllackTamara Pascual
(Shari Lynn Stewen
Lucille-Mareen Mayr
Hannah Leser)

Eva SchöllackIsabel Waltsgott
(Sophia Riedl
Kiara Brunken
Florentine Beyer)

FreddyDavid Jakobs
(Nico Went
Florian Heinke)

Professor FassbenderHolger Hauer
JoachimDavid Nádvornik
(Philipp Nowicki
Patrik Cieslik)

Wolfgang von BoostDennis Hupka
(Patrik Cieslik
Wolfgang Türks)

Otto FranckRudi Reschke
Fritz AssmannThorsten Tinney
(Wolfgang Türks)
Gerd SchöllackMarco Billep
(Philipp Nowicki
Wolfgang Türks)

SängerFlorian Heinke
Walk in Cover Otto Franck / Walk in Cover Professor Fassbender / Walk in Cover Fritz Assmann / Walk in Cover Gerd SchöllackDominik Schulz
EnsembleKiara Brunken
Florian Heinke
Lucille-Mareen Mayr
Kate Moss
Nele Neugebauer
Nico Went
Alexander Wilbert
Vanessa Wilcek
SwingShari Lynn Stewen
Sophia Riedl
Albert-Jan Kingma
Lisa Marie Sumner
Hannah Leser
Philipp Nowicki
Patrik Cieslik
Florentine Beyer
Wolfgang Türks
MUTTER BRAUSE BAND
GitarreYves Ardelt
Frederik Schlender
Sebastian Ulmer
Jascha Wonerow
BassDominik Mostert
Christoph Chudaska
KeyboardDamian Omansen
Matt Paull
Keyboard / TrompeteJotham Bleiberg
Jakob Gerhardt
DrumsCaspar Hachfeld
Julian Külpmann
  
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TERMINE
keine aktuellen Termine
 
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TERMINE (HISTORY)
So, 28.11.2021 17:00Theater des Westens, BerlinPremiere
Di, 30.11.2021 19:30Theater des Westens, Berlin
Mi, 01.12.2021 19:30Theater des Westens, Berlin
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