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 Rock-Musical
FAUST'n'Roll Rocktheater nach Goethe
André Gehrmann
André Gehrmann
Goethes Tragödie als Stück mit Rockklängen bringt den "Faust"-Stoff einem heutigen Publikum näher. Jimmy Gees Partitur hat Ohrwurmcharakter, Jessica Fendler und Christian Venzke brillieren in den Hauptpartien.
(Text: kw) Premiere: | | 22.08.2020 | Rezensierte Vorstellung: | | 22.08.2020 | Letzte bekannte Aufführung: | | 30.12.2021 | Showlänge: | | 130 Minuten (ggf. inkl. Pause) |
Goethe wird zu Gott – eine mutige Metamorphose, die sich die Kreativen des Rocktheaters gleich zu Beginn trauen: Während der Ouvertüre führen zwei Tänzerinnen einen Mann mit großem Hut auf die Bühne und setzen ihn auf eine seitlich stehende Chaiselongue. Noch schnell mit einem hellen Umhang drapiert, blickt er auf sein Ebenbild auf der zentralen LED-Wand: Das weltberühmte Goethe-Gemälde von Tischbein, das ihn in die Ferne blickend auf seiner Italienreise zeigt. Zwei Corona-Hygienekonzept-gerechte Engel mit Mundschutz und Handschuhen verwandeln den Dichter und Denker direkt in Gott, der einen Joint rauchend auf seinen Gegenspieler trifft.
André Gehrmann
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In "FAUST'n'Roll" ist dieser Satan jedoch nicht männlich, sondern erscheint als diabolisch-sinnliche Mephista im knallroten Lackoutfit mit Hörner-Kopfputz (Kostümbild: Michael Manthey). Im Song "Himmel und Hölle" wetten beide, ob Mephista den Wissenschaftler Dr. Faust vom rechten Weg abbringen kann oder nicht – ganz so wie Goethe es im Prolog zu seinem "Faust" vorsieht. Die Librettisten Hartmut Hecht und Michael Manthey folgen in ihrer Adaption dem literarischen Vorbild und erzählen dessen Schlüsselszenen auf zwei Stunden verdichtet nach. So verschreibt sich auch bei ihnen der verzweifelte Wissenschaftler Dr. Faust ("Da steh ich nun, ich armer Tor") dem Teufel, woraus sich nach der Pause die tragisch endende Intrige um die Verführung Gretchens entspinnt. Hecht und Manthey verwenden in ihren Texten für die über 30 Songs viel Original-Goethe-Verse und bekannte geflügelte Worte wie "Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein".
In die Moderne katapultiert wird der für heutige Zuschauer recht sperrige Stoff samt Pudelskern, Gretchenfrage und Walpurgisnacht-Hexentanz durch seine gitarrenrockige, punkige wie balladesk-hymnische Partitur. Für den Großteil der sehr eingängigen Kompositionen zeichnet Jimmy Gee verantwortlich, der sich auch nicht scheut, Vorbilder wie ACDC zu zitieren. Wie akustische Fremdkörper wirken in der Szene in Auerbachs Keller allerdings der alberne Reggae-Floh und die Country-Nummer "Kann Wein auch geben". Gemeinsam mit vier im Bühnenhintergrund postierten Musikern verrockt Gee energiegeladen Goethes Faust, in der besuchten Uraufführung allerdings nahe der Lautstärke-Schmerzgrenze.
André Gehrmann
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Christian Venzke inszeniert das Rocktheater schon aus Platzgründen stringent-schnörkellos. Die im Zentrum der Bühne stehende, teilbare LED-Wand illustriert mit ihren Video-Animationen von James Griffin und Caroline Reucker die Handlung und ermöglicht schnelle Szenenwechsel. Die pandemiebedingten Hygiene- und Abstandsregeln integriert Venzke augenzwinkernd, indem er zum Beispiel den nur mit einem neongelben Slip auf der Chaiselongue liegenden Dr. Faust vor seinem Liebesakt mit Gretchen von den bereits erwähnten Engeln mit Plastikfolie abdecken lässt. Auch als Choreograf wahrt er Abstand, was zum Beispiel beim ersten Aufeinandertreffen des späteren Liebespaares gut zum keusch-reinen Gretchen passt, das höflich auf Distanz zum anderen Geschlecht achtet.
In der besuchten Vorstellung spielt Venzke auch Dr. Faust (alternierend: Torsten Ankert) und ist damit fast dauerpräsent auf der Bühne. Er gibt den greisen Wissenschaftler als verbitterten und zerrissenen alten Mann, dessen Songs er passend dazu mit einer satt-rauen Rockröhre singt. Nach der Verjüngung durch den Zaubertrank der Hexe verändert sich Venzkes Dr. Faust nicht nur optisch, er wird auch zum liebesentflammten Heißsporn, der mit schönem, runden Musical-Bariton singt. Im Duett "Lieb mich, lieb mich nicht" harmoniert Venzkes Stimme sehr gut mit dem feinen und sicher geführten Sopran von Gretchen-Darstellerin Annika Bollmann, die solistisch in der Gretchenfrage brilliert. Darstellerisch bleibt Bollmann auch vorlagenbedingt lieblich und blass.
André Gehrmann
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Die dankbarste Rolle im Stück hat Jessica Fendler, die die Mephista als abgebrühtes Teufelsweib gibt und mit ihrer rockigen Stimme in Soli, Duetten und Ensemblenummern durch das Stück fetzt. Eine grandiose Leistung, die in der besuchten Vorstellung allerdings vor allem in den Sprechszenen durch ein viel zu stark aufgedrehtes Mikrofon getrübt wird. Martin Constantin, der zur Partitur auch drei der Songs beigesteuert hat, bietet als Hexe, Gott und Goethe eine eher zwiespältige gesangliche Leistung, da er mit seiner großen, punkig-rockigen Stimme die Songs eher herausbrüllt. Als Valentin überzeugt Michail Mamaschew mit satter, tiefer Stimme hingegen in seinem kurzen Klagelied, bevor er ermordet wird.
"FAUST'n'Roll" wird keinen großen Run auf das Bücherregal mit dem Goethe-Wälzer auslösen. Es ist aber ein großer Verdienst, einem heutigen Publikum den "Faust"-Stoff in einer rockigen Form zugänglich zu machen. Ob das nun der Weisheit letzter Schluss ist, muss jeder im Publikum selbst entscheiden.
(Text: Kai Wulfes)

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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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