 |
 Revue
Berlin Berlin Wie golden waren die 1920er?
© Sven Darmer
© Sven Darmer
Wenn Sängerin Marlene Dietrich, die Skandal-Tänzerinnen Anita Berber und Josephine Baker, Lyriker Bertold Brecht und die Komponisten Friedrich Holländer und Kurt Weill aufeinander treffen, befinden sie sich entweder in den 1920er Jahren im echten Berliner Nachtclub Admiralspalast oder 100 Jahre später im Kampnagel in Hamburg in der Revue "Berlin Berlin". Wen interessiert dabei die fehlende Handlung, wenn die Darsteller so phänomenal sind, dass das Publikum sie pfeifend mit Standing Ovations feiert und gerne über kleine Schönheitsfehler hinweg sieht?
(Text: Laura Peter) Premiere: | | 19.12.2019 | Showlänge: | | 150 Minuten (ggf. inkl. Pause) |
Im geschichtsträchtigen Admiralspalast im Berlin der goldenen 1920er Jahre gibt es in "Berlin Berlin" viel Trubel. Eine Stimme aus dem Off erinnert vor Showbeginn vorsichtshalber daran, dass die Ereignisse der kommenden zweieinhalb Stunden zwar durchaus so geschehen sein könnten, aber nicht alles davon der Wahrheit entspreche.
Zwischen Marlene Dietrich (Nina Janke) mit wunderbar souliger Stimme und der exzentrischen, koksenden und obszönen Anita Berber (Sophia Euskirchen) herrscht Zickenkrieg und eine für die Presse inszenierte Romanze. Sophia Euskirchen in ihrem roten knallengen Anita-Berber-Kleid sticht besonders heraus als bizarre und eigentümliche Tänzerin, die in dem Stück nicht einmal zu tanzen braucht. Nach ihrer Darbietung des Liedes "Cabaret" am Ende des ersten Aktes bricht ein euphorischer Szenenapplaus los.
© Sven Darmer
© Sven Darmer
Zugegeben, wenn die fünf Sänger der Comedian Harmonists eher zurückhaltend ihre Acapella-Stücke zum Besten geben dürfen, wartet man ungeduldig auf das Ende vom kleinen grünen Kaktus, damit die Bühne schnell wieder frei wird für die vielen wunderbaren Tänzer (Choreographie Matt Cole). Diese lassen in "Berlin Berlin" nie lange auf sich warten und können weit mehr als den damals üblichen Charleston und Lindy Hop. Kurz vor dem Ende darf Tänzerin und Sängerin Dominique Jackson sich noch in einen sehr viel Haut zeigenden Bananen-Rock kleiden und als Josephine Baker einen Hitler-Anhänger auf den Leim führen.
© Christian Kleiner
© Christian Kleiner
Durch den Abend führt Martin Bermoser als Admiral und Conférencier, der auch die immer lauter werdenden Zurufe aus dem Publikum adhoc in Späße verwandeln kann. Ebenfalls humorvoll kommt der tollpatschige Kellner Kutte (Sebastian Prange) daher, der wenig Glück mit den Frauen im Admiralspalast hat. Am Klavier sitzend ("Aber nur die weeßen Tasten, mit den schwarzen komm ick durcheinander") löst er mit seinem "Lachfoxtrott" aber beim gesamten Publikum schallendes Gelächter aus und kann sich so wenigstens in die Herzen der Damen des Publikums lachen. Auch Jendrik Sigwart hat mit "Mein Bruder macht im Tonfilm die Geräusche" die Lacher auf seiner Seite und sorgt mit seiner turbulenten Mischung aus Singen, Steppen, Springen und Tanzen für Schnappatmung bei den Zuschauern.
© Sven Darmer
© Sven Darmer
Bei diesen herrlichen Darbietungen fügt sich das mit vielen Lichtern versehende, ansonsten aber eher starre und simple Bühnenbild (Conny Kraus) gut ein. Wer möchte sich aber schon auf das sparsame Tour-Bühnenbild konzentrieren, wenn man an den Lippen der Darsteller hängt und seine Augen nicht von den authentischen und funkelnden Kostümen (Katia Convents) lassen kann?
Auch dass es trotz Zickenkrieg und Drogensucht an einer ernstzunehmenden Handlung mangelt (Regie Christoph Biermeier), interessiert kaum jemanden, wird es doch nie langweilig im Admiralspalast. "Berlin Berlin" versteht sich eher als unentwegt kreisendes 1920er Jahre Medley mit fließenden Übergängen dank des Admirals und seinem immer liebenswürdiger werdenden Gehilfen Kutte. Dieser kann zwar auch Klavier spielen, für den satten Jazzklang sorgt allerdings die achtköpfige Nachtclub-Band unter der Leitung von Jeff Frohner, die sich im Bühnenbild integriert ebenfalls auf der Bühne einfinden darf.
© Sven Darmer
© Sven Darmer
Wer zu Schulzeiten im Geschichtsunterricht aufgepasst hat, weiß, dass die goldenen Jahre ein jähes, wenig schillerndes Ende finden. Im zweiten Akt hofft manch ein Zuschauer vielleicht, mit einem vergnüglichen Finale davonzukommen, aber auch im Stück werden die von Vergnügungssucht geprägten Jahre von den Nationalsozialisten unvermittelt beendet. Josephine Baker bäumt sich noch ein letztes Mal gegen Hass und Feindlichkeiten auf, am Ende jedoch muss das Publikum den fiktiven Admiralspalast mit einem faden Beigeschmack verlassen. Schließlich konnten Fremdenhass und Homophobie auch einhundert Jahre später noch nicht besiegt werden. In den 20er Jahren des 21. Jahrhunderts bietet "Berlin Berlin" immerhin so mitreißende Darbietungen voll überbrodelnder Energie, dass die Hoffnung bleibt, bald wieder so unbekümmert und lebensbejahend das Miteinander feiern zu können, wie es uns die goldenen 1920er Jahre vorgemacht haben.
(Text: Laura Peter)

Kreativteam
Besetzung
Frühere Besetzungen? Hier klicken == 2021/22 ==
Admiral - Simon Stockinger (Simon Mehlich)
Anita Berber - Jil Clesse (Lena Weiss)
Kutte - Sebastian Prange (Lukas Witzel)
Marlene - Lena Müller (Lena Weiss, Agnes Pure)
Josephine Baker - Dominique Jackson (Alisha Capon)
Comedian Harmonists - Marco Trespioli, Lukas Witzel, Kevin Dickmann, Dominic Angler, Alexandre Pierre (Simon Mehlich)
Ensemble - Marco Trespioli, Lukas Witzel, Kevin Dickmann, Dominic Angler, Alexandre Pierre, Lena Weiss, Agnes Pure, Alisha Capon, Jack Ford, Jack Rose, Jack Butcher, Owen Richardson, Aine Curran, Rebecca Bowers, Charlie Bishop, Millie Hood
Swing - Charlie Bishop, Millie Hood
Admiral - Martin Bermoser (Florian Peters, Emanuel Jessel)
Anita - Sophia Euskirchen (Dominique Aref, Lena Weiss)
Kutte - Sebastian Prange (Jendrik Sigwart)
Marlene - Nina Janke (Lena Weiss)
Josephine - Dominique Jackson (Dominique Aref)
Comedian Harmonists - Bagdaskar Khachikyan, Florian Peters, Jendrik Sigwart, Emanuel Jessel, Jacoub Eisa (Sebastian Prange, James-Paul McAllister)
Ensemble - Lindsay Atherton, Dominique Aref, Thomas Charles, Alyn Hawke, James-Paul McAllister, David McIntosh, Lena Weiss, Lucy Young
Produktionsgalerie (weitere Bilder)
Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 1 Zuschauer hat eine Wertung abgegeben:

    32141 Ein Abend voll Energie
28.12.2019 - Nach hundert Jahren leben die „Goldenen Zwanziger“ am Ort des Geschehens wieder auf. Der Admiralspalast is wie geschaffen für eine Show über diese Zeit. Gezeigt wird eine Reminiszenz von bekannten Personen, aber auch eher vergessenen, wie Anita Berber. So stehen neben Marlene Dietrich in ihren Anfangsjahren auch Josephine Baker und die Comedian Harmonists auf der Bühne. Das verbindende Element der einzelnen Protagonisten ist der Admiral ein fiktiver Klubbesitzer mit Hang zum Absinth. Dieser wird von Martin Bermoser wunderbar glaubhaft verkörpert. Er singt toll, spielt aber auch gut. Besonders gut hat mir das Zusammenspiel mit Anita Berber gefallen. Sophia Euskirchen spielt ebenfalls sehr gut, erhält auch für ihren Gesang frenetischen Beifall. Sebastian Prange übt mit dem kompletten Saal Lachfoxtrott und schafft es, dass 1000 Leute gemeinsam singen. Auch die Darstellerinnen der Marlene Dietrich und Josephine Baker machen ihre Sache sehr gut, ebenso wie die Herren der Comedian Harmonists, die auch in anderen Soloparts ihr Talent unter Beweis stellen. Gesungen wird Deutsch und Englisch, viele bekannte Lieder aus dieser Zeit, Parts aus „Cabaret“ und der „Dreigroschenoper“, auf den Teil aus dem „Weißen Rössl“ hätte ich verzichten können, aber den Leuten hat es gefallen. Die Tänzer haben uns auch sehr gut gefallen, die mit großem Schwung tanzen und so zum gelungenen Abend beitragen, ebenso wie die Band, die einen tollen Job machen und uns am Ende mit ihrer Solonummer beschwingt entlassen haben. Der Abend endet mit einem Verweis auf das unrühmliche Ende der 20-Iger Jahre und dem Einzug der Nazis, die der Weltoffenheit von Berlin ein grausames Ende gemacht haben. Um den Abend nicht negativ zu beschließen gibt Kutte dem Admiral einen Ausblick auf die kommenden 60 Jahre der Stadt und der Abend endet mit dem von Allen gesungenen Song aus Babylon Berlin „Zu Asche Zu Staub“, der ein wirklicher Gänsehautmoment war.
Ein toller Abend, hingehen lohnt sich!

Charlotte (56 Bewertungen, ∅ 3.6 Sterne) 
Bitte melden Sie sich an, wenn Sie einen Leserkommentar abgeben wollen. Neu registrieren | Logon Details können Sie hier nachlesen: Leserkommentare - das ist neu |
 |
|
Karten können über den jeweiligen Veranstaltungsort bezogen werden (siehe Liste rechts) |
|
 |
Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
 |
 |