Darf ich die Katze beißen?

Was kommt dabei heraus, wenn das ZDF eine Musical-Gala mit Volksmusik-Moderatorin Carmen Nebel auf die Beine stellt? Leider das, was viele befürchtet haben.

„Dürfte ich nochmal die Katze beißen?“ Thomas Borchert alias Graf Krolock brachte das Wirrwarr auf den Punkt. „Die größten Musicalhits – Top 50“ versprach das ZDF seinen Zuschauern, doch das präsentierte Ergebnis war eher ein Musical-Sammelsurium als ein ernst zu nehmendes Ranking. Eine Online-Abstimmung sollte Aufschluss geben über die liebsten Musicalsongs der Deutschen und sicherheitshalber hatte sich das ZDF gleich mit dem Branchenprimus Stage Holding zusammen getan und sich deren Hamburger Neue Flora als Aufzeichnungsstätte gesichert.

Auf dieser normalerweise den „Tanz der Vampire“-Blutsaugern vorbehaltenen Bühne hangelte sich Carmen Nebel durch sichtbar zusammengekürzte Moderationen und eine Top-50-Liste voller Merkwürdigkeiten. Weder in absoluten Zahlen noch in Prozentwerten wurden die Abstimmungsergebnisse bekannt gegeben, lediglich ein „Countdown“ wurde präsentiert. Von Platz 50 (Lady Marmelade, „Moulin Rouge“) bis Platz 1 (Totale Finsternis, „Tanz der Vampire“) fand sich eine Bandbreite verschiedenster Musical-, Film- und Zeichentrickfilmsongs, deren Auswahl und Platzierung reichhaltigen Raum für Spekulationen ließ.

Fanden sich auf den hinteren Plätzen noch Musical-Klassiker á la „My fair Lady“ (Platz 44) oder „Hair“ (Platz 30), so wurden die ersten 20 Plätze beinahe komplett von Stücken aus dem Stage Holding/Stella-Fundus dominiert. Überraschend vor allem die Nichtberücksichtigung jeglicher dramatischer Chor- und Ensemblenummern (Ausnahme: „Ewiger Kreis“, König der Löwen) und die krude Mischung aus Einspielfilmchen verschiedenster Qualität. Da standen verrauschte 40er-Jahre Aufnahmen neben musicalfernen Schnipseln von Abba- und Queen-Auftritten, Soundtrack-Videos (kurios: Céline Dions Frisur im Pudellook) neben Ausschnitten aus TV-Promotionauftritten (Uwe Kröger als jugendlicher GI). Dies alles in einer willkürlichen Melange aus deutschen und englischen Versionen und im handlichen 30 Sekunden-Trailer-Takt.

Unterbrochen wurde dieser Reigen von immer wieder eingestreuten, in der Auswahl ebenso kaum nachvollziehbaren Live-Auftritten auf der Flora-Bühne. Warum ein nicht näher zuzuordnendes „Hair“-Ensemble ein uninspiriertes „Good Morning Starshine“ (Platz 43) zu Vollplayback zum besten geben musste, statt mit „Aquarius“ (Platz 30) einen der Hits des Musicals zu präsentieren, blieb ebenso ungeklärt wie die Frage, ob sich Uwe Kröger mit einem zwar immerhin live gesungenen, aber stimmlich und interpretatorisch eher fragwürdigen „New York, New York“ (Platz 32) wirklich einen Gefallen getan hat. Erfrischend dagegen der erkennbar ebenso live präsentierte „Time Warp“ (Platz 27) einer Rocky-Horror-Tourneeproduktion und der zumindest farbenfrohe Auftritt der „Dancing Queen“ Caroline Fortenbacher (Platz 15, leider auch im Vollplayback).

Es war wohl kein Zufall, dass aus jedem (zum Zeitpunkt der Aufzeichnung im Juni) aktuellen Stage-Holding-Musical ein Song live präsentiert wurde – im Gegensatz zu Konkurrenz-Shows wie „We will rock you“ oder „Starlight Express“. Der Auftritt des „König der Löwen“-Ensembles (Platz 10) zum Auftakt zu einer Top-Ten-Präsentation, machte dann endgültig klar, wer hier Partner des ZDF war. Da fuhr die lustige Löwentruppe per Schiff und Bus an der Neuen Flora vor, immer vorbei an unauffälligen hausgroßen Logos des Musicals. Da kam es wenig später auf der Bühne zum tränenreichen Wiedersehen der „Musketier“-Stars Kröger und Douwes (als vollplaybackende „Elisabeth“ auf Platz 5), da durfte schließlich auch Angelika Milster mit einem dezenten Nebel-Verweis auf die gerade laufende „Cats“-Tournee den Mund zu ihrem 80er-Jahre-Mondlichtplayback bewegen (Platz 3).

Als von Beginn an angekündigtes Überraschungsergebnis entpuppte sich schließlich der zweite Platz für „Alles“ aus dem bekannt auslastungsschwachen „3 Musketiere“. Die Wahl dieses Songs (dargeboten in der eher musicalfernen Weckerlin/Alexander-Promotionversion) auf Platz 2 unter „den größten Musicalhits“ erschien vor dem Hintergrund unveröffentlichter Ergebnisse nicht eben glaubwürdig. Diesen Eindruck konnte auch der erste Platz für die „Totale Finsternis“ aus den ebenfalls auslastungsschwachen „Vampiren“ nicht zwingend zerstreuen, auch wenn der Ensembleauftritt in der Ballsaalkulisse als einzige Nummer des Abends zumindest ansatzweise die Atmosphäre der jeweiligen Bühnenshow wiederspiegelte.

Zumeist wenig erhellend präsentierten sich die Interviews der dauerkichernden Carmen Nebel mit Ralf Morgenstern (eher randständige Bindung zum Thema Musical, dafür aber ZDF-Eigenstar), Anna Maria Kaufmann (man hätte gern mehr über das Schicksal des deutschen Ur-Phantoms Peter Hofmann erfahren) und Angelika Milster. Interessante Themen wie der ewig schwelende Sprachkampf Deutsch-Englisch wurden schnell fallengelassen, Entwicklung des Genres und Geschichten aus der Pionierzeit des Kommerzmusicals (von Milster, Kröger, Kaufmann entscheidend mitgeprägt) erst gar nicht angesprochen.

So präsentierte sich dem Musicalfreund ein Fernsehabend der ärgerlichen Sorte. Die fragwürdige Wahl, die Erkenntnis, dass Bühnendramatik in einer sterilen Fernsehshowkulisse mit Vollplayback meist wirkungslos verpufft und die kaum verdeckte Dauerwerbung der Stage Holding ließen kaum Raum für den Zauber, den Musical zuweilen verbreitet. Aber vermutlich sollte die präsentierte Fülle bekannter Melodien in Kombination mit dem Volksmusik-Quoten-„Schlachtroß“ Carmen Nebel ganz andere Zielgruppen ansprechen. Und, wer weiß, vielleicht ist der Show das ja auch gelungen.

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