Zukunftsdiskussion beim „Circle“: Neue und spannende Musical-Produktionen haben eine Chance, aber sie müssen derzeit vorwiegend von freien Produzenten ausgehen. Das ist das Fazit der Diskussion beim Branchentreffen in Berlin.
„Kiss me, Kate“, „My Fair Lady“ und kein Ende? Ist das die einzige Perspektive für das deutsche Musical jenseits der Stage-Entertainment-Großproduktionen? „Neue Wege – Neue Ideen“ war die zweite Diskussionsrunde im Rahmen des Branchentreffens „Circle 2005“ in Berlin überschrieben. Musicaldarsteller, Kreative und Branchenkenner suchten nach Impulsen für die Musical-Landschaft.
„Ein Musical-Star allein füllt noch kein Haus.“ Schon im Eingangs-Statement wurde deutlich, dass das Fanpublikum in Deutschland nicht für das ökonomische Überleben einer Großproduktion ausreicht. Feststellbar sei zudem die Entfremdung dieser „Musical-Power-User“ von den bisher identifikationsträchtigen Ensuite-Produktionen, sagte muz-Chefredakteur Robin Jantos. Entgegen dem allgemeinen Trend zu leichteren Unterhaltungsstoffen sei dieser Besuchergruppe ein eher dramazentriertes Musiktheater wichtig. Kleinere Shows, in den Hauptrollen prominent besetzt, zögen zunehmend das Interesse und die Identifikation der „Fachbesucher“ auf sich. So seien in den letzten Jahren zahlreiche interessante und erfolgreiche Shows an Stadttheatern (z.B. „The Scarlet Pimpernel“/Halle) und auch von freien Trägern (z.B. „Bonifatius“/Fulda) auf den Markt gekommen.
„Wir stellen ein verändertes Kaufverhalten bei unseren Kunden fest“, ergänzte Andreas Luketa von „Sound of Music“ diese Beobachtung. „Es wird von einer neuen Generation von ‚Teenie-Fans‘ vor allem nach Namen von bekannten Künstlern gekauft. Das Stück spielt keine Rolle mehr.“ Import-CDs mit neuen Inhalten seien kaum noch verkäuflich.
Ein Alternativrezept gegen diese Verschiebung des Marktes weg von künstlerischen Ansprüchen und neuen Impulsen, hin zu einem sich ökonomisch aber offensichtlich nicht alleine tragenden Starkult versuchten die versammelten Kreativen zu bieten.
„Wir müssen wieder Neugier wecken, das Land hinter dem Regenbogen zu entdecken“, forderte Musical-Autor Lund („Erwin Kannes“), der auf die reiche und innovative Tradition des Kinder- und Jugendtheaters in Deutschland verwies. Diese habe auch ein Stück wie „Linie 1“ möglich gemacht und mit aktuellen und „deutschen“ Themen das Publikum für das Genre Musical gewinnen geholfen. „Wenige Leute und große Gefühle“ brachte er die Anforderung an neue Produktionen auf den Punkt, mit kleinen Besetzungen und wenig Budget auszukommen. Gleichzeitig sei aber der Zwang der Stadttheater, mit Musicals für viel Auslastung bei wenig Aufwand zu sorgen, ein fast unüberwindliches Hindernis für Experimente abseits ausgetretener Pfade. „Wir würden das gern aufbrechen, aber immer, wenn ich mit einem neuen Stoff komme, wird gefragt, ob das nicht auch ohne Musik geht.“
„Es gibt einen Zyklus von zehn Musicals, die kann man als Stadttheater hintereinander durchspielen, und dann wieder von vorne anfangen“, beklagte Komponist Thomas Zaufke die Einfallslosigkeit der deutschen Subventionstheater, die letztendlich in die Sackgasse der ewigen Wiederholung führe.
Dabei, so Cornelia Drese, sei das schon in den deutschen Musical-Schulen vorhandene Potenzial an universell für das Genre ausgebildeten Darstellern vielfältig und viel versprechend. „Gerade beim Finale des Bundeswettbewerbs Gesang habe ich Leute gesehen, die sind für ihr Alter fantastisch, echte Performers“, lobt auch Ken Posey den Nachwuchs. Dennoch sei vor allem an den Stadttheatern und bei Kultur-Entscheidern kaum eine Lobby für die Gattung vorhanden, der Markt bleibe eng. „Darum frage ich meine Studenten auch immer, wann denn ihr erstes eigenes Soloprogramm steht“, erläuterte Peter Lund, auch Dozent an der Berliner UdK, sein Verständnis von Hilfe zur Selbsthilfe auf dem Weg zum ersten Engagement.
Patentrezepte hatte keiner der Diskussionsteilnehmer im Gepäck. Einig war man sich aber, dass die Situation sowohl an den Stadttheatern als auch bei den Ensuites kurzfristig nicht zu ändern ist – neue Impulse müssten von den freien Produktionen ausgehen. Hier gäbe es verschiedene Modelle, die auf dem deutschsprachigen Markt schon erprobt worden seien:
– Regional zugeschnittene Shows, wie „Bonifatius“: Ein regionaler Stoff, regionale Sponsoren und viel ehrenamtliches Engagement tragen eine Produktion.
– Kooperationen zwischen kleinen Theatern, wie der Austausch von Inszenierungen zwischen Landesbühnen oder kleineren Häusern ohne eigenes Ensemble.
– Hauptdarsteller-Marketing für eine begrenzte Spielzeit, wie etwa mit Ethan Freeman und Anna-Maria Kaufmann in der Bremer „Evita“-Produktion.
– Encore-Shows, also die konzertante Wiederaufnahme abgespielter Shows: Dieses Modell planen die Vereingten Bühnen Wien mit „Mozart!“.