André Nicke im Großen Saal der ubs, Foto Udo Krause
André Nicke im Großen Saal der ubs, Foto Udo Krause

3 Fragen an... André Nicke

Welchen besonderen Herausforderungen muss sich ein Intendant während der Corona-Pandemie stellen? Wir haben dazu André Nicke, seit August 2019 Intendant der Uckermärkischen Bühnen Schwedt (ubs), befragt. Die ubs gehören zu den wichtigsten Kulturstandorten im Nordosten Brandenburgs und sind eines der beiden Brandenburgischen Landestheater.

Was für ein Finale für eure Saison 2019/20! Pandemie-bedingt müsst ihr am 16. März die Einstellung des Spielbetriebs für die laufende Spielzeit verkünden und eure Sommer-Musical-Produktion „Die neuen Abenteuer des Baron Münchhausen“ in der Open-Air-Spielstätte wegen behördlich verbotener Probenmöglichkeiten um ein Jahr verschieben. Schließlich darfst du deinen treuen Mitarbeiterstamm auch noch in Kurzarbeit schicken. Bestimmt kein schöner Moment. Am 6. Juni haben die ubs als erstes Theater in Brandenburg den Vorstellungsbetrieb unter freiem Himmel wieder aufgenommen. Das nagt doch bestimmt ganz schön am Nervenkostüm des Intendanten. Wie ist dein Fazit der vergangenen, turbulenten Wochen?

Das Nichtwissen auszuhalten, wann und wie es weitergeht, war schwerer, als den Betrieb in nur einer Woche wieder hochzufahren. Und es war großartig zu spüren, dass nicht nur das Publikum auf diesen Tag gewartet hat, sondern auch die MitarbeiterInnen in wenigen Tagen kleine Wunder vollbrachten, um den von der Politik in Aussicht gestellten ersten möglichen Theatertag zu realisieren. Wir haben zwar auch in den Wochen, die zwischen der Schließung und der Bekanntgabe der möglichen Wiedereröffnung der Brandenburger Theater lagen, die Hände nicht in den Schoß gelegt, aber vor live anwesenden ZuschauerInnen zu spielen, ist eben doch etwas ganz Anderes, als digitale Ideen für ein virtuelles Publikum auszuprobieren – so spannend und lehrreich diese Experimente auch waren.
Wir mussten natürlich auch die Spielpläne anpassen, Premieren verschieben und manche auch schweren Herzens absagen. In diesen Momenten kämpft der Intendant, der eben auch die wirtschaftliche Verantwortung für den Gesamtbetrieb trägt, mit dem Künstler in mir. Das lässt sich genauso auf die sehr schnell getroffene Entscheidung beziehen, einen Großteil der KollegInnen in Kurzarbeit zu schicken. Für uns war das – angesichts eines vergleichsweise hohen zu erwirtschaftenden Eigenanteils – von Anfang an eine Möglichkeit, den Theaterbetrieb wirtschaftlich zu entlasten, und nicht Gefahr zu laufen, irgendwann keine Gagen mehr zahlen zu können. Wir sind auf diesem Weg auch von unseren Trägern und nicht zuletzt von der Belegschaft selbst unterstützt worden.

Wie schaust du auf die kommende Spielsaison? Auch wenn ihr schon seit vielen Wochen Proben und Premieren plant und zum Beispiel vor wenigen Tagen Bauproben für euer immer sehr
besucherstarkes Weihnachtsmärchen hattet, wie sind deine Einschätzungen für den ubs-Spielbetrieb in diesem Herbst und Winter? Welche hygienebedingten Veränderungen gibt es in euren Spielstätten? Wer unterstützt euch bei deren Umsetzung?

Wir hoffen inständig, dass die vielzitierte zweite Welle ausbleibt und es nicht notwendig wird, die jetzt verabschiedeten Lockerungen noch einmal zurückzunehmen. Gleichzeitig glaube ich nicht an eine schnelle Rückkehr zur Normalität: Mit Hygienekonzepten, Mund-Nase-Abdeckungen und Sicherheitsabständen werden wir noch eine ganze Weile leben müssen, fürchte ich. Das heißt, dass ich in unserem Großen Saal, der normalerweise bis zu 832 Menschen fasst, nur ca. 125 ZuschauerInnen begrüßen kann. Wirtschaftlich ist das eine Katastrophe. Trotzdem werden wir die Möglichkeiten ausschöpfen, weshalb wir uns auch entschlossen haben, an dem schon genannten Weihnachtsmärchen festzuhalten, auch wenn wir nicht damit rechnen können, in diesem Jahr auch nur annähernd die 18.000 ZuschauerInnen des Vorjahres erreichen zu können. Es ist offen, wann polnische SchülerInnen wieder zu uns kommen dürfen. Es ist offen, wann deutsche Schulen und Kindertagesstätten wieder das Theater besuchen dürfen. Und völlig ungewiss ist, wann wir wieder vor gleichzeitig 800 ZuschauerInnen spielen können. Wir haben aufwendigere Produktionen deshalb in die zweite Spielzeithälfte verschoben, in der Hoffnung, dass bis dahin vielleicht ein Impfstoff gefunden worden ist und auf Abstandsregeln verzichtet werden kann, die ja nicht nur für das Publikum gelten, sondern auch für die TheatermitarbeiterInnen auf, vor und hinter der Bühne.
Wir haben uns bei der Erstellung eines Hygienekonzeptes frühzeitig professionelle Unterstützung geholt und haben klare Regeln für die MitarbeiterInnen und die BesucherInnen des Theaters formuliert. Einer unserer Bühnenmeister wurde zum Hygienebeauftragten bestellt und begleitet die Umsetzung dieser Regeln aufmerksam und unterstützend. Denn bei all dem ist es uns ausgesprochen wichtig, dass Theater kein Angstraum wird. Dass die Menschen auch zukünftig gern zu uns kommen und sich gut aufgehoben fühlen.

Krisen wie die Corona-Pandemie sind erzwungene Momente des Innehaltens. Sind du und deine Intendanten-Kollegen jetzt unterm Strich vorsichtiger bei der Saison-Planung und gibt es aus deinem Blickwinkel für die kommunal finanzierten Theater in Deutschland so etwas wie eine Lektion aus der Krise?

Was heißt: vorsichtiger bei der Saison-Planung? Wir mussten auch vor Corona schon sehr bewusst über jede einzelne Produktion entscheiden, Aufwand und Nutzen abwägen, den Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und Kunst hinbekommen. Das Eine tun, ohne das Andere zu lassen. Eine Erfahrung aus der Krise ist für mich eher, die Achtsamkeit im Umgang miteinander zu stärken, zu intensivieren. Bewusst zu leben, zu arbeiten, miteinander umzugehen. Die Krise hat meines Erachtens gezeigt, dass der Reichtum unserer Gesellschaft neu definiert werden muss und vor allem auch kann, dass Verzicht gut für uns und möglich ist. Für uns und für die Umwelt. Verzicht wohlgemerkt im Materiellen, weil er im Geistigen, Künstlerischen eben nicht möglich und nicht erstrebenswert ist. Viele Menschen haben uns in den letzten Wochen auf sehr unterschiedliche Weise gespiegelt, wie sehr sie die Kunst, das Theater, das Miteinander vermissen. Das hat uns Mut gemacht.
Eine Lektion hat gezeigt, dass sie immer gültig ist: Theater muss vorkommen, wenn es relevant sein will. Deswegen war es für uns auch keine Frage, sofort an dem Tag anzutreten, an dem Theater vor Publikum wieder möglich war.
Damit feierten wir keine Rückkehr in die Normalität. Wir gingen den Schritt in eine Realität, die sicher noch eine ganze Weile unsere neue Normalität sein wird.

 
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