Gut abgemischte Live-Gesamtaufnahme des Kunze/Levay-Musicals zur aktuellen Tournee-Produktion. Zu hören ist die gesamte Erstbesetzung um Annemieke van Dam, Mark Seibert und Mathias Edenborn.
Braucht der Musical-Fan wirklich die dritte deutschprachige Gesamtaufnahme von „Elisabeth”? Kaum ein Stück ist so oft auf CD veröffentlich worden, wenn auch in der Titelrolle kaum ein Wechsel stattfand. Daher lautet schon nach den ersten Höreindrücken die Antwort: Man braucht sie!
Nachdem sie die Elisabeth schon einige Jahre auf der Tourversion verkörpert, ist nun auch endlich Annemieke van Dam in der Titelpartie zu hören. Nach der in den vergangenen Jahren überpräsenten Maya Hakvoort muss man sich an van Dams sehr jung klingende Stimme etwas gewöhnen, aber gerade im ersten Teil des Stückes passt sie perfekt. Darüber hinaus gelingt es van Dam inzwischen, ihre Elisabeth im Laufe des Stückes stimmlich altern zu lassen. Besonders auffällig ist das in „Nichts ist schwer“ im ersten Akt und in „Boote in der Nacht“ am Ende des zweiten. Sehr gezielt nimmt sie als alte Elisabeth ihren Sopran zurück, ihre Stimme wird leise und brüchig, um dann ihre Verzweiflung wieder in den alt bekannten Höhen auszudrücken. Ihr „Ich gehör nur mir“ steht der maßstabgebenden Interpretation von Ur-Elisabeth Pia Douwes selbst im Schlusston in nichts nach. In der Irrenhausballade wird de unterschwellige Wahnsinn in der Kaiserin deutlich wie bei kaum einer Darstellerin zuvor.Mathias Edenborn gewinnt der undankbaren Rolle des Franz-Josephs viel ab und haucht ihr sogar Lebn ein. Große Soli hat er zwar nicht, überzeugt aber in Duetten mit van Dam und bleibt vor allem mit seinen kleinen Zwischenszenen im Gedächtnis, egal ob er gegen seine übermächtige Mutter aufbegehrt oder seinen Sohn in seine Schranken weist. Auch seine verzweifelte und unerfüllte Liebe zu Elisabeth vermeint man beim Hören zu spüren.
Als Luccheni ist Newcomer Kurosch Abbasi zu hören. Auch er gewinnt der Rolle neue Akzente ab. Frech und vorlaut kommentiert er das Leben der Kaiserin, wirkt allerdings weniger zynisch als seine Vorgänger. Interessant ist seine Interpretation der Rolle zum Ende des Stückes. Als Luccheni vom Tod die Feile zur Ermordung Elisabeths zugeworfen bekommt, fällt plötzlich alle Ironie von ihm ab und bis ins letzte Verhör hinein wirkt er auf einmal nur noch unsicher und zu einer Tat gezwungen, die er so nicht geplant hatte. So wird aus dem agierenden Erzähler eine weitere Schachfigur im Untergang der Habsburger.
In den Nebenrollen bleibt vorallem Betty Vermeulen als Kaisermutter Sophie im Gedächtnis. Es scheint in dieser Rolle immer weniger auf wirklich gute Sängerinnen anzukommen, vielmehr auf sehr gute Schauspielerinnen. Vermeulen wirkt mit ihrer recht kratzigen Stimme bereits ab ihrem ersten Auftritt gnadenlos unsympathisch. Auch wenn dies durchaus zur Rolle passt, in den längeren Part wird es anstrengend. Kleine, aber starke Auftritte haben die Tour-Alternates der Titelrolle. Ann-Christin Elverum ist als Gräfin Esterhazy zu hören und Alice Maura in der Irrenhaus-Szene als Fräulein Windisch. Ein netter Gag, diese Rolle mit einem Elisabeth-Cover zu besetzen – das gibt dem Duett zwischen Insassin und Kaiserin einen Extra-Kick. Auch Oliver Arno weiß als Kronprinz Rudolf zu überzeugen. War die Rolle in den schon existierenden Aufnahmen teilweise etwas stimmschwach besetzt, so stehen sich hier in „Die Schatten werden länger“ mit Arno und Seibert zwei gleichstarke Sänger gegenüber und der Song zu einem Höhepunkt der Aufnahme.Bleibt noch Mark Seibert als Tod: Allein seine Leistung ist schon ein Grund für diese Aufnahme. Sein Tod ist endlich einmal das, was man auf Grund der Rollenbeschreibung auch erwartet. Er singt die Rolle verführerisch, einschmeichelnd und mit einer gehörigen Portion Erotik in der Stimme. Hier passt einfach alles und es wird nachvollziehbar, warum sowohl Elisabeth als auch Rudolf ihm schließlich verfallen. Seibert liefert sich in „Wenn ich tanzen will“ beinahe ein Duell mit Annemieke van Dam, rockt streckenweise fast zu sehr in „Der letzte Tanz“ und wirkt beinahe diabolisch in“Am Deck der sinkenden Welt“.
Bleibt das Klangbild: Natürlich muss man bei einer „Live-Aufnahme“ Abstriche machen. So sind Bühnengeräusche und Applaus zu hören, ohne allerdings wirklich zu stören. Auch durch die Textverständlichkeit der Ensemble-Szenen punktet diese Aufnahme – auch ohne Booklet mit Text kann man dem Stück sehr gut folgen. Einzig das etwas abgespeckte Orchester ist ein kleiner Minuspunkt, aber sehr störend ist hier die dünnere Besetzung nicht. In Zeiten von Playback-Zweitverwertungen sollte man über jedes real spielende Orchester froh sein.