"Berührend, hoffnungsvoll, bezaubernd!"

“Love Story” – die Älteren von uns haben vermutlich sofort Szenen aus dem Film vor Augen, der 1970 durch eine gelungene Mischung aus Drama und Romantik die Kinokassen klingeln ließ und auch heute noch den neunten Platz auf der ‘American Film Institute’-Liste der 100 schönsten Liebesfilme aller Zeiten belegt.
Daher war es wohl nur eine Frage der Zeit, bevor es die melodramatische Liebesgeschichte zwischen dem wohlsituierten Harvard-Studenten Oliver und der aus der Arbeiterklasse stammenden Jennifer auf die Musicalbühne schaffte. Sechs Jahre nach der Uraufführung am Chichester Festival Theatre steht nun am Grenzlandtheater Aachen die Deutschlandpremiere an. Grund genug, um uns mit dem Regisseur Ulrich Wiggers sowie den beiden Hauptdarstellern Madeleine Lauw und Christian Fröhlich zu einem kurzen Gespräch zu verabreden.

Ulrich, Du bist am Grenzlandtheater kein unbeschriebenes Blatt und hast hier unter anderem schon “Hello Dolly” , “Cabaret” , “Into the Woods” und “La Cage aux Folles” inszeniert. Es scheint Dich immer wieder hierhin zurückzuziehen…

Ulrich: Ja, das stimmt. Meine erste Verbindung mit dem Grenzlandtheater Aachen hatte ich allerdings schon als Darsteller in “My fair Lady” – lang, lang ist es her. Das war in der Spielzeit 2001/2002. Bevor ich damals nach Aachen zu den Proben fuhr, lag einer meiner liebsten Freunde und Kollege mit Leukämie auf der Intensivstation. Er hatte gerade seine Knochenmarkspende bekommen, alles sah gut aus… Also reiste ich erleichtert und hoffnungsvoll nach Aachen. Leider bekam ich 10 Tage später die Nachricht von seinem Tod.

Und 14 Jahre später bringst du hier “Love Story” auf die Bühne – eine Geschichte, in der genau diese Themen – Leukämie und Verlust – eine entscheidende Rolle spielen…

Ulrich: Dass ich mich genau hier in Aachen wieder mit einem Tod durch Leukämie auseinandersetze, das ist in der Tat nicht einfach gewesen. Aber es musste und sollte wohl so sein. Auf alle Fälle waren meine Gedanken in der Probenzeit sehr oft bei meinem verstorbenen Freund. Und auch wenn es vielleicht sehr amerikanisch kling: Ich widme ihm diese Aufführung, die mir sehr am Herzen liegt!

Madeleine und Christian, Ihr dürft die Hauptrollen verkörpern. Was ging Euch durch den Kopf, als ihr das Angebot erhieltet, die deutsche Erstaufführung von “Love Story” zu spielen?

Madeleine: Geil.

Christian: Ich hatte das Glück, in meinem Studium an der Royal Academy of Music die gleiche Rolle in einem Projekt zu erarbeiten. Leider haben wir das Stück nur intern einmalig gespielt. Aber ich habe es geliebt und wollte es unbedingt noch einmal machen! Als dann das Angebot kam, war ich überglücklich, diese Chance zu bekommen – und dann auch noch als deutsche Erstaufführung mit einem der für mich besten Regisseure im deutschsprachigen Raum! Es stand also außer Frage, ob ich zusage oder nicht.

Findet Ihr es eher hinderlich oder hilfreich, den Film zu kennen?

Madeleine: Weder noch. Ich selbst habe den Film noch gar nicht geschaut, sondern den Roman mehrfach gelesen, der ja die Grundlage für die Film-Adaption ist. Das scheint mir direkter zu sein.

Christian: Ich habe den Film ebenfalls bewusst nicht gesehen, da ich mich gerne erst durch die Lektüre und das Stück selbst leiten lasse und meine eigene Interpretation kreieren möchte, ohne vorher von einer anderen beeinflusst zu sein. Ich glaube, jeder sieht das anders. Für den einen ist es eher hinderlich, für den anderen hilfreich und ein Dritter ist da vielleicht ganz leidenschaftslos.

Ulrich: Ich kannte den Film – zumindest dachte ich das. Aber als ich ihn dann noch einmal gesehen habe, war ich schon sehr erstaunt, wie kurz die jeweiligen Szenen sind. So gar nicht “theatergerecht”. Aber das Gute als Regisseur ist ja, dass ich meinen eigenen Zugang dazu finden muss – und darf! – und die Umsetzung somit sicher anders aussieht als im Film.

Kannst du uns denn jetzt schon etwas zu der Umsetzung verraten?

Ulrich: Nur soviel, dass ich keine neuen Szenen oder neue Texte eingefügt habe und die Handlung nicht in den Siebzigern spielen lasse. Liebe ist auch heute Gott sei Dank immer noch aktuell – und Krebs eben leider auch.

Eine Rezensentin der Londoner Produktion hat “Love Story” als “hochkarätiges Kammermusical” bezeichnet – würdet ihr zustimmen?

Madeleine: Auf jeden Fall. Das Stück ist sehr fein gearbeitet und braucht die Intimität und Unmittelbarkeit eines Kammertheaters. Ich finde es großartig, es hier im Grenzlandtheater zu spielen. Das Theater bietet hierfür den perfekten Rahmen.

Christian: Ich finde auch, dass man dem zustimmen kann. Es ist ein wundervolles Stück, mit einer berührenden Geschichte, mit Witz, Substanz und schöner Musik, das sich mit zeitlosen Themen auseinandersetzt, in denen sich jeder wiederfinden kann.

Ulrich: Mich hat die Musik auch sofort begeistert, als ich sie zum ersten Mal hörte. Und wie Christian schon sagte, die Liebesgeschichte ist eben nicht nur traurig. Da haben sich zwei Menschen gefunden, die zusammengehören, die Spaß haben, die ihr gemeinsames Leben genießen, die sechs wunderbare Jahre miteinander verbringen dürfen, bevor die furchtbare Diagnose Leukämie alles verändert.

Beschreibt die Charaktere, die ihr verkörpert, doch einmal in ein bis zwei Sätzen.

Madeleine: Jennifer ist stark. Sie hat einen außergewöhnlich festen Stand. Außerdem ist sie aufrichtig und großzügig.

Christian: Oliver Barret IV ist ein ehrgeiziger, intelligenter, warmherziger, witziger und starrköpfiger Mensch. Er sehnt sich nach Anerkennung und Wertschätzung, die sich auf ihn als Person beziehen und nicht auf seine Herkunft.

Wie habt ihr Euch auf Eure Rollen vorbereitet?

Madeleine: Ich habe Text und Musik durchforstet, denn alles, was ich als Information brauche, steckt darin. Auch die Gespräche mit Ulli und anderen Menschen, die sonst noch etwas davon hören wollten, waren hilfreich.

Christian: Ich finde, um einen anderen Menschen so gut wie möglich darzustellen, muss man so viel wie möglich über diese Person wissen. Daher habe ich mir zuerst das Stück und das Buch durchgelesen. Daraus habe ich alles gesammelt, was mir Informationen zu der Rolle gibt: Was im erzählten Text steht, was er selbst über sich sagt und was andere über ihn sagen. Aus diesen Informationen versuche ich dann Fragen zu beantworten, die mir die Rolle als Person greifbarer machen. Gibt es mal keine Informationen im Text, muss man sich etwas überlegen. Dann mache ich mir klar, wie die Rolle zu den anderen Rollen im Stück steht, was in den einzelnen Szenen passiert, was meine Rolle dort will, wie sie das bekommen kann und was die Konflikte sind.

Und natürlich muss ich dann noch den Text und die Lieder lernen, um dann, wenn die Proben beginnen, auch loslegen zu können. Bei all der Arbeit, die ich vorher betreibe, versuche ich trotzdem, offen zu bleiben für die Ideen und Interpretationen des Regisseurs und der Spielpartner und auch offen für das zu sein, was bei der Probe entsteht.

Stichwort “Probe”: Wie war die Probenzeit und wie müssen wir uns den Ablauf vorstellen?

Madeleine: Es war eine sehr schöne und intensive Zeit, die durch viele lange Gespräche und viel Textarbeit geprägt war.

Christian: Genau. Wir haben jetzt 6 Wochen lang geprobt. Zuerst hatten wir musikalische Proben, um Absprachen zu treffen und die Ensemblenummern durchzugehen. Dann sind wir chronologisch durchs Stück gegangen und haben uns Szene für Szene angeschaut: Was passiert dort, wie ist die Haltung der Charaktere zueinander, was ist die Intention der jeweiligen Figuren? Als das geklärt war, sind wir erstmals auf die Bühne und haben probiert. In der letzten Woche sind wir dann auf die eigentliche Theaterbühne gegangen, um uns mit dem neuen Raum vertraut zu machen, die Wege zu klären, das erste Mal mit Ton und dem Orchester zu proben und uns dann die Kostüme anzusehen.

Ulrich: Es hat einfach nur Spaß gemacht, sich dieser Geschichte mit all den wirklich besonderen Darstellern zu nähern!

Gab es einen besonders intensiven, schönen oder denkwürdigen Moment während dieser Zeit?

Christian: Ich kann gar nicht von einem konkreten Erlebnis sprechen. Die ganze Probenzeit war wirklich wundervoll. Wir haben so viel gelacht, hatten eine super entspannte Atmosphäre und haben trotzdem intensiv und konzentriert geprobt. Mit so einem großartigen Cast und diesem tollen Kreativteam zusammenarbeiten zu dürfen ist das Schönste, was einem in diesem Beruf passieren kann.

Madeleine: Mimi, eine unserer zwei Produktions-Hündinnen, teilte uns sehr direkt und unverhohlen mit, was sie von unserer Arbeit so “denkt” und setzte uns, während einer musikalischen Probe, einen Haufen vor die Probebühne. Das war großartig.

Wir haben es gerade schon angesprochen: “Love Story” greift mehrere Themen auf, die seit den 70er Jahren nicht an Aktualität verloren haben. Noch immer gibt es Menschen, denen aufgrund ihrer Herkunft oder Andersartigkeit Vorurteile entgegengebracht werden, noch immer sterben Menschen an Krebs. Findet ihr es wichtig, dass Musical sich auch mit solchen Themen auseinandersetzt – immerhin wird dem Genre ja oft genug vorgeworfen, nur seichte Kost zu sein?

Christian: Unbedingt sollte sich auch das Musical mit solchen Dingen auseinandersetzen. Für mich ist das Musical ein Schauspiel, in dem als weiteres Mittel der Erzählung die Musik genutzt wird. Und meiner Meinung nach kann man die Menschen durch Musik nochmal auf eine ganz andere Weise berühren und erreichen als im reinen Sprechtheater. Daher finde ich es wichtig, diese Kombination der Erzählform nicht nur für seichte Unterhaltung zu nutzen, sondern auch Themen anzusprechen, die zum Nachdenken anregen.

Madeleine: Und das Genre an sich ist natürlich nicht nur seichte Kost! Es erzählt Geschichten aller Art. “The Shining” zum Beispiel definiert das Film-Genre ja auch nicht ausschließlich als Horror-Genre. Das Gegenteil ist der Fall. “Love Story” ist ein tolles Beispiel für ein gutes Musical. Die Musik ist ein fundamentaler Bestandteil der Erzählung.

Das Grenzlandtheater zeigt die deutsche Erstaufführung des Stückes. Könntet ihr euch vorstellen, dass ein Stück wie “Love Story” auch langfristig in Deutschland erfolgreich ist? Oder ist es dafür zu “speziell”?

Madeleine: Dass es um Liebe geht, steckt ja schon im Namen. Außerdem geht es um Tod und Krankheit, um Verlust und Versöhnung. Das sind sehr konkrete und universelle Themen!

Christian: Ich denke auch, dass die Geschichte zeitlos und sehr berührend ist. Allerdings glaube ich auch, dass es am besten auf kleineren, intimeren Bühnen funktioniert. Daher glaube ich nicht, dass es sich so sehr herumspricht, wie z.B. eine Stage-Produktion, und das Publikum von weit her anreist. Aber dort wo es gemacht wird, kann es die Menschen sicherlich begeistern.

“Love Story” in drei Worten?

Christian: Berührend, hoffnungsvoll, bezaubernd.

Madeleine: Liebe, Liebe, Liebe!

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