Glenn Close (Norma Desmond), Michael Xavier (Joe Gillis) © Richard Hubert Smith
Glenn Close (Norma Desmond), Michael Xavier (Joe Gillis) © Richard Hubert Smith

Sunset Boulevard (2016)
Coliseum, London

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Ria Jones spielt vor dem wohl schwierigsten Publikum in ganz London – und singt sich zu nicht enden wollenden Standing Ovations. Die Waliserin sprang für die kranke Glenn Close als Norma Desmond in “Sunset Boulevard” am Coliseum Theatre ein – eine insgesamt einfach gehaltene, aber gerade deswegen durchaus wirkungsvolle Produktion.

Glenn Close spielt fünf Wochen lang “Sunset Boulevard”. Mit der vielfach Oscar-nominierten Schauspielerin warb die English National Opera mehrere Monate um das Publikum. Ihr Name war präsenter als der des Webber-Musicals, in dem sie auftreten würde. Für ihre Darstellung der vergessenen Stummfilmdiva Norma Desmond gewann Close 1994 den Tony Award.
Die Erwartungen waren entsprechend hoch gesteckt und Enttäuschung auf ganzer Linie, als das Zugpferd der Produktion krankheitsbedingt die Vorstellungen zwischen dem 21. und 23. April absagen musste. Die Ankündigung, dass Glenn Close nicht auftreten würde, sorgte im Publikum für Aufruhr: Besucher verließen die Vorstellung und verlangten ihr Geld zurück, vereinzelte Buh-Rufe waren zu hören.

Es war wirklich kein milde gestimmtes Publikum, vor dem Ria Jones sich beweisen musste. Und die Fußstapfen, die sie auszufüllen hatte, waren groß. Doch Jones gelang das Unfassbare, sie überzeugte das Publikum, brachte es zu frenetischem Applaus und wurde mit minutenlangen Standing Ovations belohnt.

Für Ria Jones war es nicht die erste Begegnung mit der Rolle der Norma Desmond. Anfang der 1990er-Jahre war es die damals 25-jährige, die bei den Workshops in Sydenham die Rolle für Andrew Lloyd Webber kreierte. Jones war deutlich zu jung für die Bühne, Norma ging später an Patti LuPone und in den USA an Glenn Close.

Nun kann Ria Jones beweisen, dass sie der Rolle gewachsen ist. Sie weiß, die Blicke des Publikums auf sich zu ziehen, selbst wenn sie nicht im Rampenlicht steht. Ihr Spiel steckt voll großer Gesten, ihre Leidenschaft spielt sie mit der richtigen Mischung aus Affektiertheit und Grandezza. Im Gegensatz dazu erscheinen das Abrutschen in den Wahnsinn und die zerreißende Verzweiflung der alternden Frau bei ihr realistischer, leiser und damit gefährlicher als bei den meisten anderen Normas. Gesanglich stemmt Jones die Rolle einwandfrei. Ihre leicht raue Stimme und ihr warmes Timbre passen wunderbar zu den großen Nummern “With One Look” und “As If We Never Said Goodbye”; sie entlockt aber auch den leiseren Tönen von “New Ways to Dream” einige neue Facetten.

Auch das feste Ensemble der Produktion spielt herausragend. Michael Xavier interpretiert den Joe Gillis mehr als sarkastischen Lebenskünstler denn als frustrierten Schreiberling. Sein Spiel mit Jones wahrt immer eine gewisse kühle Distanz. Xaviers Joe bleibt aus Mitleid und Komfort bei Norma, nicht aus wirklicher Zuneigung. Angenehm abwechslungsreich ist auch die Betty Shaefer von Siobhan Dillon. Sie legt das 50er-Jahre-Vorzeigemädchen tough und selbstbewusst an. Das Spiel mit Michael Xavier, ob streitend oder schmachtend, findet damit immer auf Augenhöhe statt. Gesanglich treffen beide Darsteller problemlos den richtigen Ton. So wird das Betty-Joe-Duett “Too Much in Love to Care” zu einem der musikalischen Höhepunkte der Aufführung.

Mit einem profunden Bass überzeugt Fred Johanson gesanglich in der Rolle des Butlers Max, auch wenn die hohen Passagen ein wenig brüchig geraten. Die übertrieben steife und sehr ruhige Art seiner Figur erlaubt es Johanson nicht nur, das Bizarre seines Charakters herauszuarbeiten, es lässt auch immer eine unterbewusste Gefahr mitschwingen.

Die halbkonzertante Inszenierung von Lonny Price lässt den Darstellern allen Raum, um ihre Rollen in allen Facetten zu entfalten. Einzelne Requisiten werden von den Darstellern selbst auf- und abgeschoben. Zwei sich kreuzende Bühnensteige, die zusätzliche Spielflächen und Wege schaffen, helfen bei der Visualisierung paralleler Handlungen, etwa der Silvesterparty der Jungschauspieler und Normas gleichzeitigem Selbstmordversuch am Ende des ersten Akts.

Allerdings wirkt der Versuch des Regisseurs, mit einer stummen “Vision der jungen Norma” eine weitere Deutungsebene herauszuarbeiten, wenig inspiriert. Die Figur taucht nur vereinzelt auf und ihre Auftritte wirken wenig durchdacht. Es wird zudem nicht eindeutig klar, als wessen Vision sie Auftritt. Sieht sich Norma selbst als junge Frau? Oder ist es der Schatten der Vergangenheit, der einem großen Star in der Öffentlichkeit anhaftet?

Das große Orchester der English National Opera findet seinen Platz zentral auf der Bühne und wird von Michael Reed am Dirigentenpult angeführt. Die Webber’sche Partitur klingt unter Reeds Taktstock frisch, opulent und vielschichtig, auch wenn sich einige Feinheiten aufgrund der schwierigen Akustik des Coliseum Theatre in den Rängen verlieren.

Es erscheint ein bisschen wie eine absurde Parallele zum Stück, wenn die Präsenz des Hollywood-Stars Glenn Close auch in ihrer Abwesenheit unweigerlich über der Vorstellung liegt. Ria Jones, Michael Xavier und den übrigen Darstellern ist es gelungen, aus dem übergroßen Schatten herauszutreten. Diese Produktion ist auch ohne ihren Star eine runde Sache, für die man sich gerne eine längere Spielzeit wünschen würde.

 
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KREATIVTEAM
InszenierungLonny Price
OrchestrierungDavid Cullen
Andrew Lloyd Webber
Musikal. LeitungMichael Reed
ChoreographieStephen Mear
BühneJames Noone
KostümeTracy Christensen
Glenn Closes KostümeAnthony Powell
SoundMick Potter
LichtMark Henderson
 
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CAST (AKTUELL)
Norma DesmondGlenn Close
Ria Jones [21.04.-23.04.2016]
Joe GillisMichael Xavier
Betty SchaeferSiobhan Dillon
Max von MayerlingFred Johanson
Artie GreenHaydn Oakley
Cecil B. DeMilleJulian Forsyth
SheldrakeMark Goldthorp
ManfredFenton Gray
JonesyJames Paterson
EnsembleCarly Anderson
Michelle Bishop
Jacob Chapman
Nadeem Crowe
Cornelia Farnsworth
Ria Jones
Katie Kerr
Aaron Lee Lambert
Matthew McKenna
Jo Morris
Tanya Robb
Ashley Robinson
Vicki Lee Taylor
Gary Tushaw
Adam Vaughan
Stuart Winter
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Fr, 01.04.2016 19:30Coliseum, LondonPreview
Sa, 02.04.2016 14:30Coliseum, LondonPreview
Sa, 02.04.2016 19:30Coliseum, LondonPreview
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